07.03.2014 Aufrufe

soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

werden, während von Arbeitgeberseite Soziallasten als Lohnnebenkosten<br />

<strong>und</strong> Steuern über die Preisgestaltung auf die Käufer von Produkten abgewälzt<br />

werden. Die Mittel zu sozialer Sicherung werden allein aus den<br />

Erträgen durch Arbeit finanziert, Kapital- <strong>und</strong> Bodenerträge sind, nach<br />

Abzug von Steuern, nicht davon betroffen. Mit einer Einschränkung:<br />

über direkte <strong>und</strong> indirekte Besteuerung sind Kapital- <strong>und</strong> Bodenbesitzer<br />

persönlich an den Kosten der sozialen Sicherung beteiligt. Rolf Zacher<br />

spricht in diesem Zusammenhang von einem „Paradoxon der Arbeitnehmergesellschaft"<br />

(Zacher 1984).<br />

Schon in den 50er Jahren wurde in der familienpolitischen Literatur<br />

darauf hingewiesen, daß im System der sozialen Sicherung nicht allein<br />

Kosten umgelegt werden, sondern daß dessen Funktionsfähigkeit zugleich<br />

von unentgeltlichen Leistungen abhänge (Sozialisationsleistungen, Altenbetreuung,<br />

Krankenpflege). Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> bietet es sich an,<br />

für Industriegesellschaften von einer spezifischen Vergesellschaftung weiblicher,<br />

unentgeltlicher Arbeitskraft zu sprechen, die nicht mehr entsprechend<br />

den Bedürfnissen einer handwerklichen oder agrarischen Familienökonomie<br />

<strong>und</strong> ihrer Produktionsmittelbesitzer genutzt wurde. Als Nutznießer<br />

lassen sich letztlich die Produktionsmittelbesitzer einer anonymisierten,<br />

hochindustrialisierten Gesellschaft identifizieren — ihnen bleibt die<br />

Nutzung von Arbeitskraft im erwerbsfähigen Alter, ohne daß sie mit den<br />

Kosten von deren Aufzucht <strong>und</strong> Erwerbsunfähigkeit belastet sind. Als<br />

Nutznießer unentgeltlicher Frauenarbeit erweisen sich aber auch die männlichen<br />

Lohnabhängigen insgesamt. Erstens kommen ihnen direkt die unentgeltlichen<br />

Arbeitsleistungen von Frauen zugute, die zugleich die Hierarchie<br />

zwischen Erwerbstätigen <strong>und</strong> Nicht-Erwerbstätigen festigt, zweitens profitieren<br />

sie in sehr viel stärkerem Maße als Frauen durch das Umlageverfahren<br />

der Sozialversicherung, das nicht-erwerbstätigen Frauen <strong>und</strong> Müttern<br />

aufgr<strong>und</strong> der Unentgeltlichkeit ihrer Arbeit nur „abgeleitete" <strong>und</strong> in<br />

der Regel mindere Ansprüche zugesteht.<br />

Zusammenfassend: Institutionell abgesichert über Familien- <strong>und</strong> Sozialrecht<br />

reproduziert die Familie durch die Arbeit der Ehefrau <strong>und</strong> Mutter<br />

<strong>und</strong> das Lohneinkommen eines oder beider Ehepartner sich selbst, gleichzeitig<br />

jedoch auch die Bedingungen einer auf privater Aneignung von<br />

Reichtum basierenden Gesellschaft. Diese Reproduktion beruht auf Mechanismen,<br />

in denen Kapitalverwertungsinteressen mit patriarchalen Elementen<br />

durchsetzt sind. Mit den Transformationen des Industriekapitalismus<br />

wandelte sich auch dessen Patriarchalismus. Der vorindustrielle, der sich<br />

bis weit ins Industriezeitalter in der Familienökonomie als Einheit von<br />

Gewerbe <strong>und</strong> Haushalt erhielt, beließ Ehefrauen, deren Arbeitskraft <strong>und</strong><br />

Gebärvermögen, in dieser Wirtschaftseinheit. Er machte einem neuen<br />

Patriarchalismus Platz, der sich nahtlos in die versachlichten Beziehungen<br />

der Industriegesellschaft einfügte. Dem in der Regel nunmehr lohnabhängigen<br />

Ehemann verblieb allein die persönliche Dienstleistung der Ehefrau,<br />

von den Sozialisationsleistungen der Mutter <strong>und</strong> von ihrer eventuel-<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!