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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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Begleiteffekten nach der Kritik unterzieht <strong>und</strong> Alternativen zur Sprache<br />

bringt. Diese Konstellation, in der beide Tendenzen zusammentreffen, nenne<br />

ich die „doppelte Krise der Lohnarbeit". (Vobruba 1983) In dieser Situation<br />

droht ein lohnarbeitszentriertes System sozialer Sicherung zunehmend<br />

leerzulaufen. Die Maxime „erst arbeiten, dann ..." ergibt keinen Sinn,<br />

wenn der Einzelne nicht mehr in der Lage ist, eine durchgängige Normal-<br />

Lohnarbeits-Biographie zustande zu bringen. Und die Maxime „Arbeitsbereitschaft<br />

zeigen, damit ..." wird prohibitiv, wenn Arbeitsbereitschaft aufgr<strong>und</strong><br />

des dauerhaften Arbeitsplatzmangels durch den Arbeitssuchenden<br />

nicht mehr belegbar ist, bzw. wenn sie durch Manipulationen am Zumutbarkeitsbegriff<br />

zur politischen Manövriermasse wird. (Vgl. Vobruba 1983a)<br />

Im Gefolge der quantitativen Seite der Krise der Lohnarbeit werden damit<br />

aus Zugangsvoraussetzungen, welche die Arbeitszentriertheit des Systems<br />

sozialer Sicherung absichern sollten, Zugangsbarrieren zum System. Die<br />

mit den genannten Maximen kontrafaktisch aufrechterhaltene Annahme,<br />

daß auf Dauer jede(r) Arbeitswillige/Arbeitsfähige einen Arbeitsplatz finde,<br />

kehrt sich gegen die Sicherungsbedürftigen. Sozialstaatliche Konsequenzen<br />

aus der qualitativen Seite der doppelten Krise der Lohnarbeit erwachsen<br />

dann, wenn die Nicht-Teilnahme an Lohnarbeit mit Versuchen unkonventioneller<br />

Beschäftigungsformen, Selbsthilfe etc. verknüpft wird. Daß das<br />

lohnarbeitszentrierte System sozialer Sicherung für die Nützlichkeit solcher<br />

Tätigkeiten <strong>und</strong> für die Anerkennungsbedürftigkeit „abweichender" Beschäftigungswünsche<br />

nur ein schwaches Sensorium ausgebildet hat, führt<br />

hier zu zwei Konsequenzen. Zum einen nimmt man mit dem Engagement<br />

in unkonventionellen Beschäftigungsformen das Risiko ungleich schlechterer<br />

sozialer Sicherung auf sich. Dies wird insbesondere dann problematisch,<br />

wenn — unter dem Druck der Dauerarbeitslosigkeit — es <strong>und</strong>eutlich wird,<br />

ob dieses Engagement freiwillig oder unfreiwillig erfolgt. Und zum anderen<br />

nehmen sich Versuche, dennoch am lohnarbeitszentrierten System sozialer<br />

Sicherung zu partizipieren, in dessen Logik notwendigerweise als Versuche<br />

des Mißbrauchs sozialstaatlicher Leistungen aus.<br />

Beide Aspekte der „doppelten Krise der Lohnarbeit" schlagen also in<br />

Sozialstaatsdefekte durch: Mit dem quantitativen Unzureichen der Lohnarbeitsmöglichkeiten<br />

werden aus den lohnarbeitszentrierten Zugangsvoraussetzungen<br />

zum System Zugangsschranken. Aus den qualitativen Unzulänglichkeiten<br />

der Lohnarbeit erwachsende Aktivitäten werden durch die<br />

spezifische Selektivität des lohnarbeitszentrierten Systems sozialer Sicherung<br />

mit unverhältnismäßig hohen Risiken belastet. Damit stellt sich die<br />

Frage nach Reorganisationsmöglichkeiten des Systems sozialer Sicherung,<br />

nach einem „U<strong>mb</strong>au des Sozialstaats". (Widersprüche 1984)<br />

III. Die Forderung nach einem garantierten Gr<strong>und</strong>einkommen ist Konsequenz<br />

der Funktionsverluste lohnarbeitszentrierter Sozialpolitik. Ein<br />

garantiertes Gr<strong>und</strong>einkommen könnte Kern eines neuen Paradigmas der<br />

Sozialpolitik sein, würde zugleich die Grenzen des herkömmlichen Sozialstaats<br />

transzendieren <strong>und</strong> insofern ihn „aufheben".<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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