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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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damit nicht der Angelpunkt einer verallgemeinerungsfähigen <strong>gesellschaftliche</strong>n<br />

Modernisierungspolitik, sondern verlangen umgekehrt von den Gewerkschaften<br />

<strong>und</strong> den Betriebsräten neuartige Formen der Interessenvertretung<br />

<strong>und</strong> der Steuerungs- bzw. Schutzpolitik — auch für die Gruppe der<br />

„Rationalisierungsgewinner".<br />

Zur dritten Frage: Man kann Horst Kern <strong>und</strong> Michael Schumann nicht<br />

Mut absprechen, wenn sie da oben im Ausguck den Blick in die Ferne wagen,<br />

aber die Gefahr ist groß, daß sie die Riffe nicht rechtzeitig erkennen.<br />

Der Aufforderung an die Industrie<strong>soziologie</strong>, prognosefähige Ansätze <strong>und</strong><br />

prognostische Aussagen zu liefern, kann sich kein Vertreter unseres Faches<br />

mit ernsthaften Argumenten widersetzen. Die Frage ist nur, ob der auch<br />

von Kern/Schumann erhobene <strong>und</strong> pauschale Vorwurf, die Industrie<strong>soziologie</strong><br />

habe bisher nur Ex-post-Analysen geliefert, berechtigt ist <strong>und</strong> ob der<br />

von ihnen propagierte Weg der Ex-ante-Empirie <strong>und</strong> der vorausschauenden<br />

Interpretation wirklich den Königsweg darstellt, der die Industrie<strong>soziologie</strong><br />

zu neuen Höhen führt. Was den ersten Gesichtspunkt betrifft, so ist man in<br />

einer ersten Reaktion dazu geneigt, Kern/Schumann alt gegen Kern/Schumann<br />

neu in Schutz zu nehmen. Schließlich hat „Industriearbeit <strong>und</strong> Arbeiterbewußtsein"<br />

ja deshalb allgemeine <strong>und</strong> prognostische Aussagen über den<br />

Gang kapitalistischer Rationalisierung zutage gefördert, weil in empirisch<br />

gehaltvollen Analysen die Konzepte <strong>und</strong> Ideologien des Managements mit<br />

harten Fakten betrieblicher Wirklichkeit konfrontiert wurden. Hierfür ist<br />

die Polarisierungsthese in der Tat ein „hübsches Beispiel". Was den zweiten<br />

Gesichtspunkt betrifft, so bezweifle ich, ob der Rückgriff auf eine phänomenologisch<br />

ausgerichtete „verstehende" Soziologie wirklich die tragfähige<br />

Brücke sein kann, die über den Abgr<strong>und</strong> führt, der zwischen kapitaltheoretischen<br />

Annahmen <strong>und</strong> der Analyse betrieblicher Wirklichkeit klafft. Das<br />

Bild ganzheitlicher Arbeit als Gegenbild zur Arbeitsteilung, das in der Frühgeschichte<br />

unserer Disziplin Proudhon <strong>und</strong> Marx entgegensetzt (<strong>und</strong> in der<br />

französischen Industrie<strong>soziologie</strong> zu einer berühmt gewordenen Kontroverse<br />

zwischen G. Friedmann <strong>und</strong> P. Naville geführt) hat, paßt zu fugenlos zu<br />

dem Postulat einer ganzheitlichen Methode, als daß man den Vater des Gedankens<br />

nicht erahnen könnte. Die Ex-ante-Empirie, in der Ex-post-Analysen,<br />

Adäquanzüberlegungen <strong>und</strong> ganzheitliche Zusammenschau eine neuartige<br />

Verbindung eingehen, <strong>und</strong> in der das Bandbreitentheorem eine<br />

methodische Schlüsselstellung einnimmt, mag es erlauben, Rationalisierungskonzepte<br />

in der „Inkubationszeit" zu erkennen <strong>und</strong> die empirischen<br />

Einzelbef<strong>und</strong>e gewissermaßen gegen den Strich zu bürsten; sie birgt aber<br />

gleichzeitig die Gefahr in sich, daß die einmal identifizierten Konzeptionen<br />

gegen empirische Gegenbeweise immunisiert werden — das Bandbreitentheorem<br />

erlaubt Abweichungen, zwingt aber nicht dazu, darin Gegentendenzen<br />

zu erkennen.<br />

Mir scheint — <strong>und</strong> damit leite ich meine letzte Gegenthese ein —, daß<br />

nur die geduldige Weiterarbeit an dem freilich ungelösten Problem der Vermittlung<br />

zwischen kapitaltheoretischen Annahmen <strong>und</strong> der Analyse empi-<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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