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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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gen nicht heran", zu der Schlußfolgerung weitergeführt: „Deshalb sind gerade<br />

die geistig-politische Auseinandersetzung <strong>und</strong> die kriminologische Ursachenforschung<br />

von herausragender Bedeutung" (1979, S. 41). Die hier<br />

vorzustellenden <strong>und</strong> heute zu diskutierenden Studien sind u.a. das Produkt<br />

dieser Einsicht.<br />

Freilich wird man genau hinhören müssen: geistig-politische Auseinandersetzung<br />

<strong>und</strong> kriminologische Ursachenforschung: Handlungsaufforderung<br />

das eine, handlungshemmender Ruf nach Wissenschaft das andere. Nur<br />

im nachhinein mag man in dieser Formulierung eine Bedachtsamkeit obwalten<br />

sehen, die sich auf den ersten Blick nicht erschließt. Die geistig-politische<br />

Auseinandersetzung mit dem Terrorismus war mehr oder weniger identisch<br />

mit der Wortschöpfung des Sympathisanten <strong>und</strong> den nicht nur sy<strong>mb</strong>olischen<br />

Kampagnen gegen diese Spezies unserer Gesellschaft. Ich erinnere an<br />

die Spalten der Presse, die Minuten der Tagesschau, die Akten der Staatsanwaltschaft<br />

füllenden Ereignisse um das sog. Mescalero-Flugblatt, an<br />

Sendungs- <strong>und</strong> Auftrittsverbote in den Medien, an die Attacken auf Konfliktpädagogik,<br />

hess. Rahmenrichtlinien, an Kritik an Schulbüchern, öffentlichen<br />

Bibliothekssortimenten. Die Liste ist verlängerbar <strong>und</strong> ließe sich zu<br />

einem empirischen Reservoir für eine Soziologie der sozialen <strong>und</strong> politischen<br />

Skandalisierung anhäufen. Beobachter wie Betroffene dieser Vorgänge<br />

mögen unter ihnen sein, <strong>und</strong> ich kann mir deshalb Einzelheiten, Belege<br />

<strong>und</strong> weitere Beschreibungen aus zweiter Hand ersparen.<br />

Diese geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Terrorismus wies<br />

<strong>und</strong> griff, wie das Zitat verspricht, über das Strafrecht hinaus, freilich in<br />

einem ganz anderen Sinne als man es auch vermuten könnte. Sie verlängerte<br />

<strong>und</strong> generalisierte das Strafrecht in die Gesellschaft. Sie war beherrscht <strong>und</strong><br />

bestimmt von der Rhetorik <strong>und</strong> dem Ziel der Ausgrenzung von Ideen, Personen<br />

<strong>und</strong> Gruppen. Es war deshalb nur folgerichtig <strong>und</strong> entsprach dem öffentlich<br />

wirksam gewordenen Programm staatlicher Reaktion auf den Terrorismus,<br />

wenn der gezielte — <strong>und</strong> keineswegs wohl zufällige — Zugriff auf<br />

gerade die kriminologische Ursachenforschung fiel. Damit auf jene Teildisziplin<br />

innerhalb der Sozial- <strong>und</strong> Verhaltenswissenschaften, die in ihrer bisherigen<br />

Geschichte zweifellos den größten alltagspraktischen, kriminalpolitischen<br />

<strong>und</strong> forensischen Verwertungszumutungen ausgesetzt war <strong>und</strong> weitgehend<br />

auch willfahren hat. Das ist knapp <strong>und</strong> in den Ohren mancher<br />

sicherlich zu polemisch formuliert. Was in einer unverfänglicheren, wissenschaftlich<br />

lizensierteren Sprache damit gemeint ist, hat Luhmann in seinen<br />

oft unnachahmlich a<strong>mb</strong>ivalenten Theorieüberlegungen — hier in seiner<br />

Rechts<strong>soziologie</strong> — wie folgt zum Ausdruck gebracht. Die Abwicklungen<br />

von Erwartungsenttäuschungen, wie Luhmann abweichendes Verhalten<br />

theoretisch faßt, geschähe in modernen Gesellschaften nach dem Prinzip<br />

der lernunwilligen — <strong>und</strong> -unfähigen, „kontrafaktischen Stabilisierung"<br />

von Erwartungen. „Schon die Tatsache", so Luhmann (1972, S. 55), „daß<br />

ein enttäuschendes Verhalten überhaupt als Abweichung erlebt wird, bestätigt<br />

die Norm ... Damit ist die Norm schon gerettet <strong>und</strong> der Nor<strong>mb</strong>recher<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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