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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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über die kognitiven Probleme hinweg, die sich uns angesichts eines Gegenstands<br />

stellen, der unsere Möglichkeiten direkter Erfahrung so weit übersteigt,<br />

wie es das Ganze einer modernen Gesellschaft tut. Vielleicht haben<br />

einige von Ihnen den Science-Fiction-Film gesehen, in dem ein mutiger Abwehrspezialist<br />

sich soweit miniaturisieren läßt, daß er mit einer Injektionsnadel<br />

in die Blutbahn eines genialen Wissenschaftlers gebracht werden kann,<br />

der durch eine Thro<strong>mb</strong>ose akut gefährdet ist. Was den Film faszinierend<br />

macht, sind die langen Passagen mit Aufnahmen aus dem Inneren des<br />

menschlichen Körpers, vor allem von Blutgefäßen verschiedenen Durchmessers,<br />

die dem miniaturisierten Agenten wie ein verwirrendes System von Kanälen,<br />

Schleusen <strong>und</strong> Strudeln erscheinen, in dem er sich nur deshalb einigermaßen<br />

orientieren kann, weil er als ausgewachsener Mensch den Bauplan<br />

des Körpers kannte. Wir aber sind, wenn Sie mir diese organizistische Metapher<br />

nachsehen, in der Lage einer ganz normalen Zelle, von der man verlangt,<br />

sich aus dem, was aus ihrer Mikroperspektive an Erfahrung möglich<br />

ist, ein zutreffendes Bild des Körpers als einem funktionierenden Ganzen zu<br />

machen. Gegenstände wie die Familie, Organisationen oder auch das Funktionieren<br />

des Wahlsystems können wir noch direkt erfahren; die Gesellschaft<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik oder der USA können wir uns aber beim besten<br />

Willen nicht mehr konkret vorstellen.<br />

Der Gr<strong>und</strong> für diese kognitiven Schwierigkeiten liegt nicht schon in der<br />

Größe des Gegenstands, sondern im wesentlichen in der enormen Komplexität<br />

seines Aufbaus <strong>und</strong> der damit zusammenhängenden spezifischen Dynamik.<br />

Die modernen Gegenwartsgesellschaften sind gleichzeitig segmentär<br />

differenziert, in mehrfacher Hinsicht geschichtet <strong>und</strong> hochgradig arbeitsteilig,<br />

so daß sie sich als ein System komplex ineinander geschachtelter, einander<br />

überlagernder <strong>und</strong> miteinander verwobener Handlungssysteme präsentieren.<br />

Dabei war es ganz wesentlich die technische Entwicklung, die einerseits<br />

die Arbeitsteilung beschleunigt <strong>und</strong> die Organisationsbildung gefördert<br />

hat, darüber hinaus aber auch unmittelbar neue Verflechtungszusammenhänge<br />

in Gestalt jener extensiven sozio-technischen Systeme erzeugt hat,<br />

die sich auf der Gr<strong>und</strong>lage der modernen Energie-, Verkehrs- <strong>und</strong> Kommunikationstechniken<br />

gebildet haben. Diese Art des strukturellen Aufbaus hat<br />

wichtige Folgen für die interne Dynamik derartiger Gesellschaften. Wie<br />

schon Herbert Spencer wußte, wächst mit dem Maß der funktionellen Differenzierung<br />

die Interdependenz zwischen den Teilen eines Ganzen, ein Prozeß,<br />

bei dem auch die erhöhte Kommunikationsdichte in modernen Gesellschaften<br />

eine wichtige Rolle spielt. Allerdings sind die verschiedenen Teilsysteme<br />

zwar interdependent, gleichzeitig aber oft nur lose miteinander ge­<br />

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koppelt. In derartigen Systemen haben Einzelereignisse typischerweise vielfache<br />

Folgen <strong>und</strong> vor allem schwer vorhersehbare Fernwirkungen. Die charakteristische<br />

Binnenstruktur der modernen Gesellschaften bedeutet zugleich,<br />

daß es eine große Vielzahl von Akteuren oder Handlungszentren<br />

gibt, von denen viele in erheblichem Maße über Ressourcen <strong>und</strong> technische<br />

Instrumente zur Verfolgung ihrer Ziele verfügen. Was daraus an Wechsel-<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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