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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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lebt. Die als Intimitätsverletzungen registrierten Eingriffe in die Körpersphäre<br />

durch medizinisches Personal, Einnahme von Medikamenten, Durchführung<br />

von therapeutischen Aktivitäten am Körper oder die Integration<br />

von medizinischen Artefakten in den Körper, kurz das „Hineinregieren" in<br />

sozial-leibliche Lebensgewohnheiten durch diagnostische <strong>und</strong> therapeutische<br />

Maßnahmen beinhalten die Aufhebung dieser alltagsweltlichen Idealisierung.<br />

3. Die Verletzung der Kontinuitätsidealisierung. Die stillschweigende Erwartung,<br />

daß das Leben so weitergeht wie bisher („<strong>und</strong>-so-weiter-Idealisierung")<br />

hat sich nicht bewährt. Damit ist „Terminalität" thematisiert, Begrenzung<br />

<strong>und</strong> Diskontinuität real, wo bislang ein offener Horizont unterstellt<br />

wurde. Da es sich bei dieser Idealisierung um eine temporale Größe<br />

handelt, sind mit ihr auch biographische, lebenszeitlich bislang gültige Fahrpläne<br />

infragegestellt. Mit der Aufhebung der Kontinuitätsidealisierung ist<br />

die offene lebensgeschichtliche Zukunft bedroht, der lebenszeitliche<br />

„Infinitätsindex" außer Kraft gesetzt. Dies wird für chronische Erkrankungen<br />

zu einem besonderen Problem wegen der Irreversibilität der Krankheit<br />

(also auch dann, wenn die chronische Erkrankung als nichtterminal gilt).<br />

In Anlehnung an die Terminologie der Sozial-Epidemiologie lassen sich die<br />

drei genannten Verletzungen von Idealisierungen der Alltagswelt als „soziale<br />

Basis-Stressoren" bezeichnen, die nicht nur einfach krankheitsbegleitend,<br />

sondern auch krankheitsgenerierend angesehen werden müssen. (Was sich<br />

auch durch die Beobachtung erhärten läßt, daß z.B. ein sozialer Verlust zu<br />

ähnlichen Verletzungen der Alltagsweltstruktur <strong>und</strong> schließlich somatischen<br />

Beschwerden, sprich „Krankheit" führen kann.) Es sollte zumindest im<br />

Ansatz bei der Skizze der drei sozialen Basis-Stressoren deutlich geworden<br />

sein, daß sie sich jeweils ausdifferenzieren lassen in soziale <strong>und</strong> biographisch<br />

restringierende Merkmalsbündel. Welche konkreten Ausprägungen sie annehmen,<br />

hängt einmal von der Art der Krankheit ab, zum anderen von biographischen<br />

<strong>und</strong> sozialen Stressoren <strong>und</strong> Anti-Stressoren, also Ressourcen,<br />

bzw. Support-Faktoren.<br />

Wenn die Krankheitsentstehung auf diese Weise adäquat als Verletzung<br />

der sozialen Leiblichkeit gefaßt werden kann, dann besteht die Krankheitsbewältigung<br />

darin, soziale Leiblichkeit wieder herzustellen. Bei Akutkrankheiten<br />

können die Kooperationserwartungen temporär stark minimalisiert<br />

werden. Soweit die Eigenaktivitäten des Patienten mit therapeutischen Interventionen<br />

konfligieren, ist eine gewisse Passivität sogar erwünscht (gelingt<br />

eine Rückstellung im Krankenhaus zu verstärkter Kooperation <strong>und</strong><br />

Eigenverantwortung nicht, spricht man von „Hospitalisierungsschäden").<br />

Andererseits erfordern eine große Zahl von therapeutischen Maßnahmen<br />

Kooperation (Pillen muß man z.B. auch wirklich einnehmen), <strong>und</strong> Kooperationswilligkeit<br />

muß durch entsprechende Anreize wieder aufgebaut werden.<br />

Weiter wird die Durchbrechung der Idealisierung der Körperautonomie<br />

dadurch wiederhergestellt, daß der Patient erfährt (<strong>und</strong> ihm dies vom Arzt<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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