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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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Problemfeld nur dann in einer unreduzierten Weise in den Blick, wenn man<br />

sich den nicht-intendierten Folgen der Bildungsexpansion im ganzen zuwendet.<br />

Ein Vergleich der Bildungsexpansion (oder: -revolution) mit der industriellen<br />

Revolution mag auf den ersten Blick abwegig erscheinen, oder allenfalls<br />

als Kontrastfall in Frage kommen, da der Arbeiter durch Proletarisierung<br />

von der Arbeit entfremdet wurde, während die Entfremdung des<br />

Schülers <strong>und</strong> Studenten von der Arbeitswelt eher durch Prozesse emanzipatorischer<br />

Art zustande kommt. Andererseits lag auch in der industriellen<br />

Revolution der Sachverhalt vor, daß eine Entwicklung, die von vielen mit<br />

den höchsten Hoffnungen begrüßt wurde, eine Fülle von unerkannten, von<br />

niemandem gewollten <strong>und</strong> verantworteten, gleichsam „naturwüchsig" eintretenden<br />

Nebenfolgen herbeiführte, die die bisherige Gesellschaft erschütterten<br />

<strong>und</strong> sprengten. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, daß insoweit<br />

eine Parallele zwischen der industriellen Revolution <strong>und</strong> der Bildungsrevolution<br />

zu ziehen ist, von der in der Tat in der Gegenwart <strong>und</strong> in der vor<br />

uns liegenden Zukunft für die Epoche entscheidende Veränderungen auszugehen<br />

scheinen. Es entstehen hier, wie wir festgestellt haben, strukturelle<br />

Mechanismen, deren offenk<strong>und</strong>ige Nützlichkeit nur die Oberfläche eines in<br />

Wirklichkeit viel breiteren <strong>und</strong> tieferen Wirkungsspektrums gesellschaftsverändernder<br />

Natur markiert. In der Entdeckung dieses Wirkungsspektrums ist,<br />

wie ich meine, die eigentliche Bedeutung der Thematisierung des Verhältnisses<br />

zwischen Bildung <strong>und</strong> Wertwandel zu sehen.<br />

Es muß als Tatsache festgehalten werden, daß uns für die Erfassung der<br />

sozialpsychologischen Veränderungsfolgen der Bildungsrevolution einschließlich<br />

ihrer möglichen Problemdimensionen gegenwärtig noch schlicht<br />

die Begriffe (wie auch teils die Motive) fehlen. Wir müssen uns bisher noch<br />

an verhältnismäßig spärliche <strong>und</strong> isolierte Einzelfakten halten, deren Bewertung<br />

angesichts des noch fehlenden Gesamtüberblicks schwankend <strong>und</strong><br />

widersprüchlich ist <strong>und</strong> sein muß, wobei sich die Folgenidealisierung <strong>und</strong><br />

die Folgenperhorreszierung die Waage halten.<br />

Folgenidealisierend erscheint die Annahme, die mit der Bildungs<strong>entwicklung</strong><br />

zusammenhängenden, in immer breitere Bevölkerungsteile hineingetragenen<br />

Wertwandlungsdispositionen seien reine Fortschrittsphänomene<br />

<strong>und</strong> somit jeglicher Kritik enthoben. Folgenperhorreszierend ist dahingegen<br />

z.B. die von Daniel Bell vertretene Auffassung, der von der Kultursphäre<br />

ausstrahlende Wertwandlungstrend der Gegenwart sei „antinomisch" (d.h.<br />

gegen an <strong>und</strong> für sich bestehende Normen der Gesellschafts<strong>entwicklung</strong>, wie<br />

z.B. das Leistungsprinzip gerichtet) <strong>und</strong> er trage somit zu einem zukünftigen<br />

Zusammenbruch der notwendigerweise auf Selbstdisziplin <strong>und</strong> rationaler<br />

Arbeit beruhenden postindustriellen Zivilisation bei. 22<br />

Was wir empirisch feststellen können ist, daß das Bildungssystem — im<br />

Zusammenhang mit anderen Einwirkungen, von denen hier nicht die Rede<br />

war — Wert- <strong>und</strong> Einstellungsdispositionen erzeugt, die sich mit <strong>gesellschaftliche</strong>n<br />

Lebens-, Funktions- <strong>und</strong> Erfahrungsbedingungen außerhalb der Bil-<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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