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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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denkt, daß Terrorismus typischerweise Kleingruppenhandeln ist — seine<br />

Wirkung also einen Ubergriff von Mikroereignissen auf Makrodimensionen<br />

des Gesellschaftlichen dargestellt? Was gibt dem kleinen Reiz so große Wirkungen?<br />

Welche Empfindlichkeiten müssen Gesellschaften besitzen, um von<br />

ein paar Terroristen durcheinandergebracht werden zu können? — Ich will<br />

mich im folgenden vor allem diesen Fragen zuwenden.<br />

1. Terrorismus als Kleingruppenpolitik<br />

Um am Beispiel des Terrorismus die scheinbare UnVerhältnismäßigkeit von<br />

Reiz-Reaktion-Sequenzen begreifen zu können, muß man sich zuerst der<br />

Stimulusqualität des Terrorismus vergewissem. Sog. „Reaktionsansätze"<br />

dürfen in der Soziologie nicht dazu führen, daß der Stimulus unbelichtet<br />

bleibt, auf den reagiert wird. Es gilt festzustellen, was am Terrorismus in<br />

welcher Weise provozieren kann. Dem läßt sich in ersten Schritten näherkommen,<br />

wenn man das, was Terrorismus genannt werden kann, mit zwei<br />

benachbarten, aber doch aufschlußreich abweichenden Phänomenen vergleicht,<br />

erstens mit Gewaltkriminalität, zweitens mit Guerillakampf.<br />

Zum ersten: Terrorismus ist eine politische Handlungsstrategie, die<br />

durch Ausübung von Gewalt erschrecken will. Insofern Gewaltausübung<br />

widerrechtlich ist, stellt Terrorismus ex definitione Gewaltkriminalität<br />

dar. Als bloßer Teil dieser Gewaltkriminalität ist er jedoch in den meisten<br />

Gesellschaften, die ihn erleben, eine völlig harmlose Größe. In der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

wird die materielle Schadenswirkung, die der Terrorismus in<br />

10 Jahren erreichte, von der „gewöhnlichen" Gewaltkriminalität innerhalb<br />

einer Woche übertroffen. Es ist dann auch gar nicht die Gewaltausübung<br />

als solche, die am Terrorismus erregt, sondern der Anspruch, daß seine<br />

Gewaltausübung legitim sei. Dieser politisch gemeinte sy<strong>mb</strong>olische „Kriminalitätsüberschuß"<br />

(Sack 1984, S. 40) ist das Besondere am Terrorismus.<br />

Sein Rechtmäßigkeitsanspruch kollidiert mit dem Gewaltmonopolanspruch<br />

aller modernen Staaten. Da Monopole ex definitione unteilbar<br />

sind, ist diese Kollision total; es gibt keine Kompromißchancen.<br />

Zum zweiten: Wie wenig die Störung durch Terrorismus mit seiner materiellen<br />

Schadenswirkung zu tun hat, wird mit seinen Unterschieden zum<br />

Guerillakampf vielleicht noch deutlicher. „Geht es der im Rahmen der<br />

Guerillastrategie angewandten Gewalt vornehmlich um deren physische<br />

Folgen, die Sprengung von Straßen, Brücken, Eisenbahnlinien usw., bzw.<br />

um die Vernichtung gegnerischer Kampfverbände, so intendiert terroristische<br />

Gewaltanwendung vor allem psychische Reaktionen." (Fetscher et al.<br />

1981, S. 26). Die terroristische Strategie setzt nicht auf Raum- <strong>und</strong> Materialgewinne,<br />

sie ist eine Strategie der Nadelstiche, die den Zweck verfolgt,<br />

die staatliche Gewalt zu kompromittieren — zu kompromittieren auf zweierlei<br />

Weise: erstens durch eine „Propaganda der Tat", durch den Nachweis<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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