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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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Menschen ausersehen hat, für ihr Volk sich einsetzen zu dürfen. Heute<br />

stehen uns neue Aufgaben bevor. Denn der Lebensraum unseres Volkes<br />

ist zu eng. Die Welt wird eines Tages unsere Forderungen berücksichtigen<br />

müssen. Ich zweifle keine Sek<strong>und</strong>e daran, daß wir genauso, wie es uns<br />

möglich war, die Nation im Innern emporzuführen, auch die äußeren gleichen<br />

Lebensrechte wie die anderen Völker uns verschaffen werden." 9<br />

Kaum verschleiert kündigt Hitler sein Expansionsprogramm an, ohne den<br />

möglichen Krieg beim Namen zu nennen. Insofern handelt es sich auch<br />

hier um eine Wunschprognose. Aber die Elemente, aus denen sich seine<br />

Zukunftsvoraussage zusammensetzt, sind vielschichtiger als bei Benesch.<br />

Hitler beschwor, wie er es immer tat, den innenpolitischen Aufstieg<br />

als Unterpfand für den künftigen Erfolg auch auf dem Feld der Außenpolitik.<br />

Es handelt sich um den typischen Fall einer linearen Hochrechnung<br />

mittelfristiger Art aus der Vergangenheit in die Zukunft wie wir<br />

sie auch bei Wieland kennengelernt haben, ohne neu hinzukommende<br />

Faktoren der Weltpolitik in Europa zu benennen, selbst wenn Hitler sie<br />

als Politiker bedacht haben mochte. Hier liegt die Stoßkraft der anfänglichen<br />

Erfolge Hitlers, aber zugleich die tiefsitzende Fehlerquelle verborgen,<br />

die seinen Untergang <strong>und</strong> mit ihm den des alten Deutschland herbeiführen<br />

half. Die lineare Hochrechnung war einschichtig. Hinzu kommt die<br />

Berufung auf das Schicksal, ein Ideologiestreifen, der in die deutsche<br />

Geistesgeschichte zurückreicht, jenes Schicksal, an dem Hitler keine Sek<strong>und</strong>e<br />

zweifelte, wie er autosuggestiv versicherte. Die Struktur dieser Prognose<br />

enthüllt sich damit als eine ultimative Zwangsprognose. Hitler hat sie sich<br />

immer wieder selbst gestellt. Sie korrespondiert jener linearen Hochrechnung,<br />

die keine Alternativen zuläßt, vielmehr ausschließt. In der Ausschließlichkeit<br />

lag ihre Zwanghaftigkeit beschlossen, die Hitler durch das Bewußtsein<br />

seiner Auserwähltheit autosuggestiv absicherte. Seine Prognose nähert<br />

sich der Struktur prophetischer Weissagungen.<br />

Konfrontieren wir die Wunschprognose von Benesch <strong>und</strong> die ultimative<br />

Zwangsprognose von Hitler mit einem dritten Typus. Am 27. Nove<strong>mb</strong>er<br />

1932 erklärte Churchill im House of Commons: „Es wäre sicherer, die<br />

Danziger Frage <strong>und</strong> des polnischen Korridors, heikel <strong>und</strong> schwierig wie<br />

sie ist, neu aufzurollen, mit kaltem Blut <strong>und</strong> in ruhiger Atmosphäre <strong>und</strong><br />

solange die Siegermächte noch ihre breite Überlegenheit innehätten, anstatt<br />

zu warten <strong>und</strong> dahinzutreiben, Schritt für Schritt <strong>und</strong> Stufe um Stufe,<br />

bis noch einmal eine große Konfrontation zustande kommt, in der wir<br />

in gleicher Weise kämpfend einander gegenüberstehen." 10<br />

Selbstredend gehen auch in diese Prognose Wünsche ein, <strong>und</strong> auch ein<br />

ultimativer Handlungszwang liegt in ihr beschlossen, aber mit dem Ziel,<br />

einen zweiten Weltkrieg zu verhindern. Es handelt sich um eine alternative<br />

Bedingungsprognose, die Handlungsanweisungen enthält. Was diese Prognose<br />

auszeichnet, ist die klare Formulierung zweier Möglichkeiten, deren<br />

eine auf die dauerhafte Erfahrung des Ersten Weltkrieges zurückgreift,<br />

deren andere aber die Einmaligkeit der sich ändernden Nachkriegssituation<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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