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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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gefährdet, werden sie diese Kräfte ausnützen, um ihre Interessen <strong>und</strong> ihre<br />

Macht zu verteidigen. Die unvermeidbare Folge wäre ein Bürgerkrieg. Der<br />

Bürgerkrieg in Europa könnte zum europäischen Krieg, das heißt zum Weltkrieg,<br />

führen. Dies ist das Hauptmotiv, weshalb ich meine, daß nach einem<br />

anderen Weg zur Emanzipation der Gesellschaft von der Bürokratie gesucht<br />

werden muß.<br />

Mir scheint eine Zukunftsalternative möglich, wo neben dem Einheitsparteisystem<br />

verschiedene autonome Bewegungen <strong>und</strong> Institutionen existieren,<br />

darunter jedoch keine politischen Parteien, die nach einem Wahlergebnis<br />

die politische Macht zu ergreifen wünschen oder die Machtausübung verhindern<br />

möchten.<br />

In solchen unabhängigen selbständigen Institutionen könnte sich meiner<br />

Meinung nach eine bürgerliche Gesellschaft ausbilden, die eine Möglichkeit<br />

hätte, die bürokratische Machtstruktur zu kontrollieren <strong>und</strong> zu beeinflussen.<br />

Die soziologische Basis dieser Alternative ist das Heranwachsen von Bedürfnissen<br />

nach <strong>gesellschaftliche</strong>r <strong>und</strong> nicht nur privater Autonomie. Dies<br />

verursacht in diesen Ländern mehr <strong>und</strong> mehr Konflikte zwischen der Macht<br />

<strong>und</strong> den Massen. Gehen diese Konflikte über einen gewissen Grad hinaus, so<br />

entsteht im starren Rahmen der monolithischen Institutionen des Staatssozialismus<br />

eine immer schärfer werdende Spannung, die das System mit einer<br />

politischen Krise bedroht. In dieser Situation hat die Macht ein elementares<br />

Interesse daran, einen Weg zum Pluralismus zu suchen.<br />

Andererseits sehen die verschiedenen Bewegungen <strong>und</strong> die Vertreter der<br />

nach Autonomie strebenden Institutionen als Ergebnis eines längeren Lernprozesses<br />

ein, daß sie im eigenen Interesse die maximalen Ziele beschränken<br />

müssen, um offene Konflikte mit der Macht zu vermeiden.<br />

In dieser Hinsicht sind in den osteuropäischen Ländern die Gruppen der<br />

demokratischen Opposition sehr wichtig. Doch stehen sie an einem Kreuzweg;<br />

sie müssen zwischen zwei Alternativmöglichkeiten wählen: — eine konstruktive<br />

Opposition, die die verschiedenen tatsächlichen ökonomischen,<br />

politischen <strong>und</strong> ideologischen Reformen der <strong>gesellschaftliche</strong>n Beziehungen<br />

unterstützt; — eine radikale Linie, die in einem offenen Konflikt mit der<br />

Macht alle Möglichkeiten zum Dialog zurückweist.<br />

Die gegenwärtige Lage, die gespannte europäische Situation zwischen<br />

den zwei Blöcken <strong>und</strong> die inneren Interessen der Massen dieser Länder erfordern<br />

zur friedlichen Entwicklung von der demokratischen Oppositon<br />

konstruktives Verhalten <strong>und</strong> die Zurücknahme ihrer radikalen Ziele. Auf<br />

diese Weise könnte die Reformierbarkeit dieses Systems vom Sowjettyp<br />

vergrößert werden. Auf dieser Basis läßt sich nur ein <strong>gesellschaftliche</strong>r<br />

Kompromiß entwickeln, in dem die Macht die Existenz der unabhängigen<br />

Bewegungen <strong>und</strong> Institutionen toleriert <strong>und</strong> diese nicht danach streben,<br />

die Macht zu ergreifen oder ihre Ausübung zu verhindern. Sie geben sich<br />

mit der Kontrolle über <strong>und</strong> dem Einfluß auf die Macht zufrieden.<br />

Auch innerhalb der empirischen Richtung der Soziologie können Visionen<br />

über die Zukunft der osteuropäischen Gesellschaften gef<strong>und</strong>en wer-<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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