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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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nämlich, daß Gegengewalt überhaupt möglich ist, zweitens durch Provokation<br />

staatlichen Fehlverhaltens, nämlich durch „Auslösen einer Reaktion,<br />

die skandalisiert werden kann" (Steinert 1984, S. 439). Es geht also beim<br />

Terrorismus nicht um unmittelbare Herrschaftsaneignung, sondern um weniger:<br />

um Delegitimierung bestehender Herrschaft als Voraussetzung dafür,<br />

daß diese danach direkt angegriffen <strong>und</strong> gestürzt werden kann.<br />

Die Unterscheidung zwischen Guerillakampf <strong>und</strong> Terrorismus gibt mit<br />

diesen Differenzierungen nun auch Hinweise auf die empirischen Entstehungsbedingungen<br />

beider Typen politischer Gewalttätigkeit. „Die Differenz<br />

der beiden strategischen Konzepte entsteht daraus, daß die Guerillastrategie<br />

prinzipiell davon ausgeht, die Guerillagruppe werde bei ihren Aktionen<br />

durch die Bevölkerung unterstützt, während die terroristische Strategie<br />

diese Unterstützung durch die Bevölkerung gerade nicht voraussetzt, sondern<br />

sie durch ihre Aktionen erst gewinnen will." (Fetscher et al. 1981,<br />

S. 98). Terrorismus ist insofern ein Indiz politischer Schwäche, ein Mittel<br />

der Wahl machtloser Gruppen, von Kleingruppen, die ein Defizit an sozialen<br />

Ressourcen durch Militarisierung ihres eigenen Einsatzes zu kompensieren<br />

versuchen.<br />

Für diese Interpretation spricht der empirische Bef<strong>und</strong>, daß terroristische<br />

Gruppen häufig als Ausfallprodukte sozialer Protestbewegungen zu<br />

einem Zeitpunkt entstanden sind, als diese, ohne ihr Ziel erreicht zu haben,<br />

resignierten <strong>und</strong> zusammenbrachen. Das trifft nicht nur auf die deutsche<br />

RAF zu (Neidhardt 1982, S. 339 ff.), sondern z.B. auch auf die russische<br />

Narodnaja Volja sowie auf die Terroristen der Sozialrevolutionären Partei<br />

Rußlands im späten 19. bzw. im frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>ert (Hildermeier 1982,<br />

S. 107). Sie begriffen sich als Avantgarde erschlaffter Protestpotentiale, <strong>und</strong><br />

die terroristische Tat war als Initialzündung eines neuen Aufbruchs kalkuliert.<br />

Das Gelingen dieser Kalkulation ist allerdings höchst voraussetzungsvoll.<br />

Es geht darum, daß der kleine Konflikt, den Terroristen mit eigener<br />

Kraft bewerkstelligen können, zu einem großen Konflikt eskaliert. Diese<br />

Eskalation hängt nicht nur von den Operationen der Terroristen ab, sondern<br />

wesentlich von den Reaktionen der Gegenspieler; <strong>und</strong> entscheidend<br />

für den Ausgang ist, wie beide Seiten von den Massen wahrgenommen <strong>und</strong><br />

gedeutet werden. Es geht beim Terrorismus (anders als im Guerillakampf)<br />

in erster Linie nicht um rohe Machtfragen, sondern in deren Vorfeld um<br />

Legitimitätskonkurrenzen. Und diese entscheiden sich im Bewußtsein der<br />

Massen <strong>und</strong> nicht auf den Schlachtfeldern.<br />

2. Staatliche Reaktionen<br />

Reagiert ein politisches System auf terroristische Provokationen in einer<br />

Weise, die von den Massen verstanden <strong>und</strong> gebilligt wird? Reagiert es<br />

überhaupt? Und wenn ja: warum?<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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