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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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die mit zunehmender Konkretion die Diktatur Napoleons voraussagten.<br />

D'Argenson sagte als einer der ersten die kommenden Ereignisse glänzend<br />

voraus, als er die Ko<strong>mb</strong>ination von Monarchie <strong>und</strong> Demokratie als<br />

wahrscheinlich <strong>und</strong> als zukunftsträchtig definierte. 2 In der aristotelischen<br />

Topologie war ihm die Aristokratie das eigentliche Hindernis kommenden<br />

Ausgleichs, der über kurz oder lang zu einer Verfassungsänderung führen<br />

müsse. Eine sozialgeschichtliche <strong>und</strong> prozessuale Auslegung der aristotelischen<br />

Herrschaftskategorien ermöglichte es d'Argenson, die Zusammenarbeit<br />

des Monarchen mit den aufsteigenden bürgerlichen Schichten vorauszusagen,<br />

um im Falle ihrer Verhinderung die Revolution zu prognostizieren.<br />

Die Destruktion der Nobilität <strong>und</strong> die democratie royale entsprachen<br />

einander. Die Prognose beruhte auf einer neuen, verzeitlichten Ko<strong>mb</strong>ination<br />

überkommender Begriffe <strong>und</strong> Einsichten.<br />

Die Ergiebigkeit der geschichtlichen Voraussage hing von den verschiedenen<br />

geschichtlichen Schichten ab, von den zeitlichen Tiefenstaffelungen,<br />

die aus der historischen Erfahrung in die Zukunftsaussage transponiert wurden.<br />

Die räumliche Metaphorik, die in unserem Wort 'Geschichte' enthalten<br />

ist, mag hier hilfreich sein, um zu fragen, welche Schicht der Erfahrung<br />

jeweils abgerufen wird. Das wird sehr viel deutlicher bei der zweiten Prognose<br />

aus dem Jahre 1780. Sie stammt von Diderot. Und sie lautet: „Unter<br />

dem Despotismus wird das über seine lange Leidenszeit erbitterte Volk keine<br />

Gelegenheit versäumen, seine Rechte wieder an sich zu nehmen. Aber da<br />

es weder ein Ziel noch einen Plan hat, gerät es von einem Augenblick zum<br />

andern aus der Sklaverei in die Anarchie. Inmitten dieses allgemeinen Durcheinanders<br />

ertönt ein einziger Schrei — Freiheit. Aber wie sich des kostbaren<br />

Gutes versichern? Man weiß es nicht. Und schon ist das Volk in die verschiedensten<br />

Parteien aufgespalten, aufgeputscht von sich widersprechenden<br />

Interessen ... Nach kurzer Zeit gibt es nur noch zwei Parteien im Staat;<br />

sie unterscheiden sich durch zwei Namen, die, wer sich auch immer dahinter<br />

verbergen mag, nur noch lauten können 'Royalisten' <strong>und</strong> 'Antiroyalisten'.<br />

Das ist der Augenblick der großen Erschütterungen, der Augenblick der<br />

Komplotte <strong>und</strong> Verschwörungen ... Der Royalismus dient dabei ebenso als<br />

Vorwand wie der Antiroyalismus. Beides sind Masken für Ehrgeiz <strong>und</strong> Habgier.<br />

Die Nation ist jetzt nur noch eine von einem Haufen von Verbrechern<br />

<strong>und</strong> Bestochenen abhängige Masse. In dieser Lage bedarf es nur noch einen<br />

Mannes <strong>und</strong> eines geeigneten Augenblicks, um ein völlig unerwartetes Ergebnis<br />

eintreten zu lassen. Kommt dieser Augenblick, erhebt sich auch<br />

schon der große Mann ... Er spricht zu den Menschen, die gerade noch alles<br />

zu sein glaubten: Ihr seid nichts. Und sie sprechen: Wir sind nichts.<br />

Und er spricht zu ihnen: Ich bin der Herr. Und sie sprechen wie aus einem<br />

M<strong>und</strong>e: Ihr seid der Herr. Und er spricht zu ihnen: Hier sind die Bedingungen,<br />

unter denen ich euch zu unterwerfen bereit bin. Und sie sprechen:<br />

Wir nehmen sie an ... Wie wird die Revolution weitergehen? Man weiß es<br />

nicht". 3<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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