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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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Handeln unter Verletzung der Regeln geschehen, die diesem gesetzlich vorgegeben<br />

sind, <strong>und</strong> das nicht nur ausnahmsweise <strong>und</strong> vereinzelt, sondern vielfach<br />

<strong>und</strong> — wie ich meine — strukturell induziert. Konkret: staatliche Amtsträger<br />

haben unter Paragraphen des Strafrechts, der Strafprozeßordnung,<br />

des Ordnungswidrigkeitenrechts subsumierbare Handlungen begangen, von<br />

denen sicherlich als bekanntestes Beispiel die von einem Gericht als tatbestandsmäßige<br />

<strong>und</strong> rechtswidrige Tötung von B. Ohnesorg festgestellte Handlung<br />

zu bezeichnen ist.<br />

Unter dem Thema der Einführung von Gewalt in den Konflikt seitens<br />

staatlicher Instanzen ist insbesondere für das Entstehen <strong>und</strong> die Aussonderung<br />

terroristischer Subsysteme auch der Bereich staatlicher Kontrollaktivitäten<br />

einzubeziehen, der mittlerweile zum rechtlichen, politischen <strong>und</strong><br />

öffentlichen Diskussionsthema gehört: der Einsatz <strong>und</strong> die Praxis sog.<br />

proaktiver bzw. präventiver Kontrollstrategien. Damit sind Konfliktstrategien<br />

gemeint, die generell darin bestehen, sich in Nähe zum Konfliktpartner<br />

zu dem Zweck zu bringen, dem Konflikt eine für sich günstige Wendung zu<br />

geben. Solche Strategien gehören zum normativen <strong>und</strong> damit erwartbaren<br />

Routineinventar staatlicher Kontrolle <strong>und</strong> werden insbesondere dort <strong>und</strong><br />

dann eingesetzt, wo der Konfliktgegner einen gewissen Organisationsgrad<br />

aufweist <strong>und</strong> Systemgrenzen unterhöhlt. Politische Bewegungen, das weiß<br />

man aus der Literatur <strong>und</strong> aus vielen Beispielen, gehören zum bevorzugten<br />

Objekt solcher proaktiver Kontrollstrategien. Diese auch rechtlich umstrittene<br />

Kontrollstrategie bringt in den Verlauf eines Konflikts insofern eine<br />

Eskalationsgefahr, als sie Ausdruck einer Gewalterwartung <strong>und</strong> -Zumutung<br />

gegenüber dem Objekt seiner Anwendung ist, deren Manifestation um so<br />

dringlicher wird, je rechtlich zweifelhafter sie erscheint. Das ist der Moment<br />

des agent provocateurs, der Regelverletzungen entweder unter Dissimulation<br />

seiner Identität begeht oder Arrangements des Handlungsszenarios<br />

besorgt, die das Begehen von kriminellen Handlungen oder das Eintreten<br />

von Gewalt möglich machen, begünstigen, nahelegen usw.<br />

Obwohl dieser Bereich staatlichen Handelns auch in bezug auf Gewalteskalation<br />

der 60er <strong>und</strong> 70er Jahre keineswegs voll ausgeleuchtet ist, sind<br />

Zipfel solchen Geschehens doch gelüftet. Die Frage indessen, inwieweit sie<br />

nicht nur für konkrete Konfrontationsereignisse, so etwa für die Osterunruhen<br />

im Jahre 1968 im Anschluß an das Attentat auf R. Dutschke, als ein<br />

staatlicher V-Mann Molotow-Cocktails <strong>und</strong> deren Handhabung bereitstellte,<br />

eskalierend wirkten, sondern einen darüber hinausgehenden Beitrag zur zunehmenden<br />

Gewalthaftigkeit der Ereignisse leisteten, scheint mir — auch für<br />

den Wissenschaftler — neben der empirischen Evidenz vor allem von der<br />

Intensität <strong>und</strong> der subjektiven Gewißheit der Gewaltvermutung gegenüber<br />

den Adressaten solcher Konfliktpraktiken abzuhängen.<br />

Ich möchte weiter einen gewalteskalierenden Faktor ansprechen, der<br />

mir nicht nur empirisch von besonderem Gewicht zu sein scheint, sondern<br />

der auch das rechtstaatliche Selbstverständnis von Demokratien im allgemeinen<br />

<strong>und</strong> der B<strong>und</strong>esrepublik im besonderen betrifft. Vermutlich — dies<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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