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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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ausgeschlossen worden <strong>und</strong> damit auf private Unterstützungssysteme verwiesen<br />

worden.<br />

Eine ähnliche Verschiebung in private, familiäre Subsistenzformen hat<br />

im B<strong>und</strong>essozialhilfegesetz (BSHG) stattgef<strong>und</strong>en, indem verstärkt familiäre<br />

Leistungen in Anspruch genommen werden bzw. soziale Notlagen durch<br />

Kürzung sozialer Hilfen produziert werden (Leibfried/Tennstedt 1985).<br />

Es wäre nun von soziologischem Interesse, ganz im Sinne von Achingers<br />

Frage nach der Wirkung unserer sozialpolitischen Systeme, die Folgen für<br />

die Lebenszusammenhänge der Betroffenen zu untersuchen. Solche Untersuchungen<br />

konzentrieren sich derzeit vor allem auf die subjektiven Folgen<br />

der Arbeitslosigkeit, die institutionelle Seite der Marginalisierung ist dabei<br />

eher ausgeblendet.<br />

Der zweite Typus von Ausgrenzung, den ich als „Abkopplung" von der<br />

Lebensform Erwerbsarbeit bezeichnet habe, ist soziologisch vor allem deswegen<br />

interessant, weil er die unterschiedlichsten Lebenszusammenhänge,<br />

Politikstile <strong>und</strong> Ideologien zusammenfaßt. Auf der einen Seite handelt es<br />

sich um defizitäre Lebenslagen, wie sie heute als „Neue Armut" bekannt<br />

ist, auf der anderen Seite um 'selbstgewählte' Alternativen zur Erwerbsarbeit<br />

klassischen Typs.<br />

Ein besonders krasses Beispiel für eine Strategie der Marginalisierung<br />

als „Abkopplung" ist der im Sozialhilferecht verankerte Zwang zur Sozialhilfearbeit,<br />

der ursprünglich als Kontrolle der „Arbeitsunwilligen" institutionalisiert<br />

war <strong>und</strong> heute verstärkt zur Ausgrenzung von arbeitslosen Sozialhilfeempfängern<br />

eingesetzt wird, deren Zahl laufend zunimmt;<br />

Die diskriminierende Wirkung liegt vor allem im Zwangscharakter der<br />

Sozialhilfearbeit, deren Verweigerung einen Leistungsausschluß zur Folge<br />

hat <strong>und</strong> in dem Prozeß der Dequalifizierung <strong>und</strong> damit Statusverlust, da<br />

jede Arbeit angenommen werden muß (vgl. Münder 1984).<br />

Während diese Praxis der Marginalisierung an die Tradition der sozialen<br />

Kontrolle durch Arbeitszwang im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert erinnert <strong>und</strong> der beschäftigungspolitischen<br />

Rhetorik seit 1945 fremd erscheint, sind andere Formen<br />

der Arbeitspolitik populärer. Vor allem die Beschäftigungspolitik über den<br />

sog. zweiten Arbeitsmarkt (das Ha<strong>mb</strong>urger Modell) steht dafür Pate. Darunter<br />

sind staatlich unterstützte temporäre Beschäftigungsverhältnisse zu verstehen,<br />

die teils aus Mitteln der B<strong>und</strong>esanstalt für Arbeit, teils aus öffentlich<br />

kommunalen Mitteln finanziert werden (vgl. Heinze u.a. 1984).<br />

Gleichwohl der arbeitsmarktpolitische Effekt gering sein dürfte (1984<br />

gab es in der B<strong>und</strong>esrepublik ca. 70.000 Arbeitsplätze im zweiten Arbeitsmarkt),<br />

ist der sozialpolitische Stellenwert dieser Programme möglicherweise<br />

eher in der Verarbeitung der <strong>gesellschaftliche</strong>n Wirkung der Arbeitslosigkeit<br />

als in deren Lösung zu suchen. Diese Politik der Arbeit entspricht u.U.<br />

dem von Fritz Böhle aufgezeigten historisch neuen Transformationsprozeß<br />

von Erwerbsarbeit in Nicht-erwerbsarbeit <strong>und</strong> umgekehrt. Eine empirische<br />

Analyse dieser Arbeitspolitik müßte sich mit dem Effekt der Schaffung eines<br />

neuen rechtlichen Status der Erwerbsarbeit (tarifliche Absicherung, Ar-<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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