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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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Für das Verständnis dynamischer Vorgänge sind jedoch gerade nicht normativ<br />

geregelte Beziehungen <strong>und</strong> vor allem die weit verästelten <strong>und</strong> nicht mit<br />

stabilen Interaktionsbeziehungen zusammenfallenden funktionellen Abhängigkeiten<br />

von ganz besonderer Bedeutung. Eine weitere Folge des auf dem<br />

Wege über die Rollentheorie für einen großen Teil der heutigen Soziologie<br />

bestimmend gewordenen normativen Paradigmas ist die Vernachlässigung<br />

reaktiver Verhaltensprägungen, die ebenfalls für die soziale Dynamik von<br />

ganz besonderer Bedeutung sind.<br />

Die neuere deutsche Systemtheorie folgt Parsons zwar nicht in seiner<br />

selektiven Betonung normativer Strukturen, aber indem sie ihren Kernbegriff<br />

des Handlungssystems als Zusammenhang sinnhaft miteinander verb<strong>und</strong>ener<br />

Handlungen versteht, vernachlässigt auch sie zwangsläufig jene<br />

wichtigen indirekten Abhängigkeitsbeziehungen, die z.B. dazu führen können,<br />

daß als Folge der amerikanischen Gesetzgebung zur Lebensmittelkennzeichnung<br />

über mehrere Schritte hinweg am Ende die Zahl der Badetouristen<br />

in Hawaii zurückgeht. 15 Die Dynamik komplexer sozialer Systeme wird zu<br />

einem guten Teil von aggregativen <strong>und</strong> kumulativen Effekten, von Neben<strong>und</strong><br />

Fernwirkungen menschlichen Handelns bestimmt, die typischerweise<br />

jenseits des individuellen Sinnhorizonts liegen. Ein selektives Interesse für<br />

Sinnzusammenhänge geht an diesen Phänomenen leicht vorbei.<br />

Eine weitere folgenschwere Selektivität des Begriffs des Handlungssystems<br />

liegt darin, daß er von konkreten Personen abstrahiert, die der Systemumwelt<br />

zugerechnet werden (was ähnlich für Parsons' Begriff des "social<br />

System" gilt). Obwohl gerade die soziologische Systemtheorie in all ihren<br />

Varianten immer wieder Anstrengungen gemacht hat, die mikrosoziologische<br />

Analyse sozialen Handelns mit der makrosoziologischen Analyse <strong>gesellschaftliche</strong>r<br />

Prozesse zu verbinden, sind diese Versuche weithin bei bloßen<br />

begrifflichen Lösungen stehengeblieben. Handlungstheorie <strong>und</strong> Systemtheorie<br />

können aber nicht schon deshalb als miteinander integriert gelten,<br />

weil auf beiden Ebenen dieselben analytischen Kategorien benutzt werden.<br />

Ebensowenig kann eine Gesellschaftstheorie, in der zwar Handlungen vorkommen,<br />

aber in der nicht zu erklären versucht wird, warum bestimmte<br />

Akteure unter gegebenen Umständen auf eine bestimmte Weise handeln,<br />

jemals die Frage beantworten, warum ganz spezifische Selektionen <strong>und</strong> damit<br />

auch Strukturbildungen stattfinden. So gilt auch für diese Ansätze, was<br />

Karl Martin Bolte kürzlich im Zusammenhang mit einem Plädoyer für eine<br />

stärker subjektorientierte Soziologie gesagt hat: „Obwohl jeder theoretische<br />

Ansatz der Soziologie letztlich irgendwie die Tatsache im Blick hat, daß Gesellschaft<br />

von Menschen 'gemacht' wird <strong>und</strong> daß Menschen in ihrem Denken<br />

<strong>und</strong> Handeln zu einem nicht unerheblichen Teil Produkte von Gesellschaft<br />

sind, lenken bestimmte Theorieansätze ... den Blick des Forschers<br />

aber geradezu von dieser Tatsache fort <strong>und</strong> lassen sie über die Betonung anderer<br />

Aspekte fast in Vergessenheit geraten." 16 Die Integration von Handlungs-<br />

<strong>und</strong> Gesellschaftstheorie ist dabei speziell im Hinblick auf die Erklärung<br />

von Makrophänomenen prekär. Die Wirkung des jeweiligen sozialen<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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