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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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Sie wird durch Zuschreibungen von Prestige, also durch Meinungsbildungsprozesse,<br />

in hohem Grade gestützt <strong>und</strong> verstärkt. Wissenschaftliches Wissen,<br />

wie es an den Ausbildungsstätten der Professionen, den Hochschulen, produziert,<br />

vermittelt <strong>und</strong> weiterentwickelt wird, gilt nicht nur in Laienkreisen<br />

als ein „Höchstmaß an erreichbarer <strong>gesellschaftliche</strong>r Rationalität" — das<br />

Höchstmaß <strong>gesellschaftliche</strong>r Rationalität verkörpert für Max Weber das<br />

„wissenschaftliche Denken" 20 . Wissenschaftliche Einrichtungen <strong>und</strong> die Berufe,<br />

die an diesen Einrichtungen durch ihre Sozialisation teilhaben, entwickeln<br />

sich zu <strong>gesellschaftliche</strong>n Referenzzentren. Ihnen kommt ein Prestigemonopol<br />

zugute, über „gesicherte Erkenntnisse", zumindest über den<br />

neuesten Erkenntnisstand, zu verfügen. Dies hat eine selten richtig eingeschätzte<br />

Haltung zur Folge.<br />

In den Situationen des praktischen Alltagslebens spielt sich die Vermutung<br />

ein: Es gibt ein Wissen, das der Alltagserfahrung, dem common sense<br />

der Bürger, in jedem Falle überlegen ist. Über dieses Wissen verfügen die Personen,<br />

die es im Wege formaler Sozialisation erworben haben: die Experten.<br />

Wir können diese Situation als die geistige, die wissensmäßige Dependenz<br />

der Laien von den Professionen bezeichnen 21 . Sie bleibt auch in der<br />

Laienbewegung erhalten 22 . Die wissensmäßige Dependenz führt folgerichtig<br />

zu einer Entwertung anderer Formen des Wissenserwerbs neben der formalen<br />

Sozialisation. Denn der Laie, der nicht-professionelle Bürger lernt in<br />

anderer Weise. Er lernt wie wir sagen autodidaktisch. Autodidaktisches Lernen<br />

ist situationsbezogen, entwickelt sich aus spezifischen Anlässen, ist erfahrungsgeb<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> bedürfniskontrolliert. Vor allem aber bleibt es an<br />

einen zufällig zusammengekommenen Personenkreis geb<strong>und</strong>en. Dem autodidaktischen<br />

Lernen fehlt die <strong>gesellschaftliche</strong> Unterstützung, die dem professionellen<br />

Lernen in überwältigender Fülle zuteil wird. Die Bildungsanstrengungen<br />

postindustrieller Gesellschaften konzentrieren sich auf die professionellen<br />

Lernprozesse <strong>und</strong> auf die professionell sozialisierten Personenkreise.<br />

Denn nur diese lassen sich nach Bildungsplan „produzieren". Sie beschränken<br />

sich auf das <strong>gesellschaftliche</strong> Wissen, das in dieser Form aufbereitet,<br />

aufbewahrt, weiterentwickelt <strong>und</strong> vermittelt werden kann.<br />

Die Forderung der Laienbewegung, die geistige, wissensmäßige Dependenz<br />

aufzubrechen, also das professionelle Wissen beratend <strong>und</strong> dienend,<br />

nicht autoritativ einzubringen <strong>und</strong> autodidaktischen Lernprozessen mehr<br />

materielle Unterstützung, mehr <strong>gesellschaftliche</strong> Anerkennung zu geben,<br />

muß ernst genommen werden. Ernsthafte Schritte in eine Gleichberechtigung<br />

alltagsweltlicher Wissensgewinnung würden allerdings zur Folge haben,<br />

daß professionelle Dominanz ihre eigene Konkurrenz, ja, ihre Alternative<br />

fördert <strong>und</strong> unterstützt. Eine, in der Tat, unsoziologische Annahme, wenn<br />

wir nicht Veränderungen im Machtgleichgewicht ins Auge fassen.<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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