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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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erweiterte <strong>und</strong> differenzierte Arbeitsbegriff: Sozialpolitik hat nicht nur<br />

zu tun mit den Voraussetzungen <strong>und</strong> Folgen der Organisation von Lohnarbeit,<br />

vielmehr hat sie genauso zu tun mit der <strong>gesellschaftliche</strong>n Organisation<br />

der unbezahlten Arbeit im Familien- <strong>und</strong> Sozialbereich. Kriterien<br />

dieser ganz spezifischen Organisationsform sind: „privat", familial,<br />

in Teilbereichen auch außerfamilial, ehrenamtlich, d.h. nicht marktförmig,<br />

<strong>und</strong> vor allem in geschlechtsspezifischer, hierarchischer Arbeitsteilung.<br />

Relevant sind also die <strong>gesellschaftliche</strong>n Organisationsformen der<br />

Lohnarbeit <strong>und</strong> der Nicht-Lohnarbeit in der Familie <strong>und</strong> in ehrenamtlichen,<br />

sozialen Arbeitsbereichen <strong>und</strong> zwar nicht bloß nebeneinander, sondern<br />

in ihrem Verhältnis zueinander. Die letzteren können nicht als im Lohnarbeitsbegriff<br />

stillschweigend berücksichtigt gelten, indem ihre Strukturen<br />

<strong>und</strong> Entwicklungen auch als auf die Lohnarbeit sich auswirkend gedacht<br />

werden: Das wäre ein black-box-Denken, das dringend anstehende Erkenntnisfortschritte<br />

verhindert. Die Wissenschaft würde hiermit nachvollziehen<br />

anstatt aufzudecken, was schon immer <strong>und</strong> bis heute geschieht:<br />

Wer in der Gesellschaft aus dem Bereich der Lohnarbeit herausfällt, fällt<br />

auch aus der öffentlichen Wahrnehmung heraus.<br />

Wenn Sozialpolitik allein die Voraussetzungen <strong>und</strong> Strukturen der<br />

Lohnarbeit ins Auge faßt <strong>und</strong> an ihnen gestaltend anknüpft bzw. dies tun<br />

würde (sie tut es ja nicht so ausschließlich!), dann würde sie ex ante Chancengleichheit<br />

<strong>und</strong> soziale Gleichstellung für die Hälfte der Bevölkerung<br />

verfehlen: für die Frauen, die entweder wegen ihrer Familienarbeit von<br />

Lohnarbeit vollständig ausgeschlossen sind, oder die, wenn sie Erwerbsarbeit<br />

leisten, eine systematische Lohndiskriminierung wie auch andere berufliche<br />

Diskriminierung erfahren (Kurz-Scherf/Stahn-Willig 1981).<br />

Die Bedeutung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung <strong>und</strong> der<br />

gesamten <strong>gesellschaftliche</strong>n Arbeit der Frauen für die Sozialpolitik, <strong>und</strong><br />

somit auch für die Sozialpolitikforschung, wird an Beispielen unmittelbar<br />

einsichtig:<br />

— Zu fragen ist, welche der sozialen Risiken <strong>und</strong> Lebensbedürfnisse,<br />

die aus der Organisation der Lohnarbeit resultieren, die Sozialpolitik<br />

abdeckt, <strong>und</strong> welche Risiken sie nicht abdeckt, sondern dem sog. „privaten<br />

Sektor", konkreter: den Familien, noch konkreter: den Frauen<br />

überläßt. Das heißt etwa für aktuelle Tendenzen der Sozialpolitik: Warum<br />

<strong>und</strong> wie soziale Risiken zunächst durch Sozialpolitik zumindest partiell vergesellschaftet<br />

wurden (werden mußten) <strong>und</strong> nun im Rahmen konservativer<br />

Haushaltsstrategien reprivatisiert werden (können), hängt mit Strukturen<br />

<strong>und</strong> Entwicklungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zusammen.<br />

Von Interesse ist dabei auch das ideologische Substrat der Sozialpolitik.<br />

— Wichtige Aspekte sozialer Lebensbedürfnisse wie z.B. Bildung für<br />

Kinder, soziale Kommunikation für Hausfrauen oder für Alte, Schutz<br />

vor familialer Gewalt, scheinen im „Reproduktionssektor" auf, die Gegenstand<br />

von Sozialpolitik sind <strong>und</strong> die nicht oder nicht direkt mit der Organisation<br />

von Erwerbsarbeit zu tun haben.<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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