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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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Obwohl ich eine solche Modernisierung kritisch betrachte, meine ich<br />

doch, daß dies ein wichtiger Schritt weg vom Stalinismus ist <strong>und</strong> positive<br />

Elemente beinhaltet. Diese Richtung folgte teilweise dem Hauptweg der<br />

Modernisierung der westeuropäischen Länder. Deshalb vergrößert diese soziologische<br />

Richtung auch die adaptive Tätigkeit der osteuropäischen Systeme<br />

<strong>und</strong> eröffnet mehr Freiraum für die Menschen, damit diese in ihrem<br />

Privatleben ihre eigenen Ziele <strong>und</strong> Werte realisieren können.<br />

Gleichzeitig werden von diesen Soziologen sehr viele Vorstellungen beibehalten,<br />

die organische Teile der poststalinistischen Ideologie sind, die in<br />

den meisten europäischen Ländern noch immer vorherrscht. Vor allem<br />

denke ich an folgendes: Die relative Freiheit des Privatlebens wird auf das<br />

öffentliche Leben nicht ausgebreitet, wo weiterhin die Bürokratie ihre<br />

Macht unkontrollierbar ausübt, wenn auch im Prozeß der Modernisierung<br />

die Methoden der Machtausübung vervollkommnet <strong>und</strong> für die Menschen<br />

erträglicher werden. Mag die Modernisierung in diesem Rahmen auch noch<br />

so weit vorankommen; eine wirkliche sozialistische Gesellschaft kann sich<br />

nicht entfalten, da die Emanzipation von der bürokratischen Machtstruktur<br />

unmöglich ist. Der denkbar beste Fall könnte nicht anderes sein als eine Herrschaft<br />

der aufgeklärten Bürokratie.<br />

In der apologetischen Soziologie bleibt weiterhin eine Art Gesetzesfetischismus<br />

erhalten. Friedrich Engels hat gemeint, daß die <strong>gesellschaftliche</strong><br />

Entwicklung Gesetzen unterworfen ist wie die Natur. So schildern sie ihre<br />

Prognosen — <strong>und</strong> seien sie auch noch so irreal — als die Realisierung eines<br />

Entwicklungsgesetzes, das von allen progressiven Kräften unterstützt werden<br />

muß.<br />

In der kritischen Richtung muß man den naiven Antibürokratismus<br />

überwinden. Dieser naive Ansatz dominiert nicht nur in der alten sozialistischen<br />

Denkweise, sondern auch in den verschiedenen antibürokratischen<br />

kritischen Richtungen der Gegenwart. Solche Ansätze waren in China zur<br />

Zeit der chinesischen Kulturrevolution typisch. Sie herrschten bei den verschiedenen<br />

radikalkommunistischen Richtungen wie bei den Trotzkisten<br />

vor. Sie kennzeichnen Bahros berühmtes Buch „Die Alternative".<br />

Aber die historischen Erfahrungen <strong>und</strong> die logischen Analysen auf retrospektiver<br />

Basis haben auch bewiesen, daß in solchen Gesellschaften die<br />

Reproduktion der <strong>gesellschaftliche</strong>n Beziehungen ohne die bürokratische<br />

Machtstruktur, ohne die verschiedenen bürokratischen Institutionen, unvorstellbar<br />

ist.<br />

Innerhalb der kritischen Richtung finden sich zwei Vorstellungen über<br />

die Emanzipation der Gesellschaft. Die Vertreter der einen neigen dazu, die<br />

Einführung des westlichen Parlamentarismus, d.h. des Mehrparteiensystems,<br />

als unerläßlich <strong>und</strong> damit als eine gr<strong>und</strong>sätzliche Zielsetzung zu betrachten.<br />

Andere, unter ihnen auch ich, denken, daß die Realisierung dieser Zielsetzung<br />

sehr gefährlich wäre, sowohl für den inneren wie auch für den europäischen<br />

Frieden. Da diese Systeme über starke militärische <strong>und</strong> polizeiliche<br />

Kräfte verfügen <strong>und</strong> die Einführung des Parlamentarismus ihre Macht<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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