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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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liehe Bürokratie ist die erste Einrichtung der Moderne, mit der die Deutschen<br />

konfrontiert wurden <strong>und</strong> die bis heute das Markenzeichen des deutschen<br />

Staates geblieben ist. Der Staat hat dementsprechend auch die Führung<br />

in der rechtlichen, wissenschaftlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Entwicklung<br />

übernommen. Die Rationalisierung des Rechts war das Resultat einer<br />

einheitlichen Kodifikation durch Juristen im Dienste des absolut herrschenden<br />

Landesherrn. Das Aufblühen der Wissenschaft ist durch die staatliche<br />

Neugründung der Berliner Universität im Jahre 1810 eingeleitet <strong>und</strong><br />

durch die weitere staatliche Investition in wissenschaftliche Hochschulen<br />

weitergetrieben worden. Die Industrialisierung erfolgte in erster Linie<br />

unter Initiative <strong>und</strong> Obhut des Staates <strong>und</strong> der großen Banken. Sie führte<br />

viel schneller zur Konzentration in Großunternehmen als in den anderen<br />

Industrieländern.<br />

Aus dieser materiellen Entwicklung der Gesellschaft konnte kein<br />

individualistischer <strong>und</strong> selbstverantwortlicher Aktivismus eines selbstbewußten<br />

Bürgertums wie in England <strong>und</strong> vor allem in Amerika hervorgehen.<br />

Die aktive Gestaltung der Welt ist hier eine Aufgabe der politischen Führung<br />

der großen Banken <strong>und</strong> Wirtschaftsunternehmen, eine Aufgabe der<br />

wenigen großen Männer, keine Aufgabe eines jeden Bürgers. Bismarck ist<br />

die Gestalt, in der sich der deutsche Aktivismus verkörpert. Aktivismus<br />

geht dabei eine enge Verbindung mit Realpolitik ein. Die Steigerung der<br />

staatlichen Macht nach innen <strong>und</strong> außen ist der letzte Gr<strong>und</strong> dieses machtpolitischen<br />

Aktivismus. Es ist ein Aktivismus, dem im Gegensatz zum<br />

angelsächsischen Aktivismus jede Verwurzelung in darüber hinausgreifenden<br />

Ideen abgeht. Wie Helmuth Plessner treffend formuliert hat, war<br />

Bismarcks Reich eine Großmacht ohne Staatsidee.* Dieses Fehlen einer<br />

ideellen Gr<strong>und</strong>lage bedeutete aber, daß es keinen kulturellen Maßstab gab,<br />

der die Machtpolitik hätte transzendieren können <strong>und</strong> der eine Formung<br />

des Aktivismus durch normative Ideale ermöglicht hätte.<br />

4.3 Konformität <strong>und</strong> Indifferenz<br />

Die Beziehung zwischen religiöser Innerlichkeit <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong>r<br />

Äußerlichkeit im Lutherischen Protestantismus ist auch durch die Art<br />

seiner gemeinschaftlichen Organisation <strong>und</strong> durch die Eigenart seiner <strong>gesellschaftliche</strong>n<br />

Sphären bestimmt worden.<br />

Aus der Fusion von Luthertum <strong>und</strong> preußischem Beamten- <strong>und</strong> Offiziersgeist<br />

ergaben sich prinzipiell zwei orthodoxe Möglichkeiten der Verknüpfung<br />

von persönlicher Identität <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong>m Rollenhandeln.<br />

Die Beamten- <strong>und</strong> Offiziersdisziplin konnte mit der persönlichen Identität<br />

zusammenfallen. Die religiöse Innerlichkeit löste sich hier in der Disziplin<br />

als persönlichem Handlungsprinzip auf. Der Protestant konnte sich aber<br />

auch nur äußerlich an die Dienstpflichten anpassen <strong>und</strong> im tiefsten Inneren<br />

sein Vertrauen auf Gott bewahren, das mit seinem äußeren Handeln gar<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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