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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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Sodann bricht der Kapitalismus in die vorgef<strong>und</strong>enen Formen gemeinschaftlichen<br />

Lebens ein. Die klassische Beschreibung hierfür findet sich in<br />

dem „Formenkapitel" der Gr<strong>und</strong>risse (1953). In diesem Kapitel entwirft<br />

Marx eine diskontinuierliche Perspektive der <strong>gesellschaftliche</strong>n Entwicklung,<br />

die radikal abweicht von dem evolutionstheoretischen Schema des<br />

Vorworts zur Kritik der politischen Ökonomie, das den Kapitalismus in<br />

einer kontinuierlichen Abfolge von Gesellschaftsformationen von der antiken<br />

Sklavenhaltergesellschaft bis zum Sozialismus sieht. In Wahrheit hat<br />

aber der Kapitalismus mit allen vorangegangenen Gesellschaftsformen viel<br />

weniger gemein als diese untereinander gemein haben (Giddens 1982,<br />

S. 77). Mit seiner Heraufkunft ist ein f<strong>und</strong>amentaler Bruch eingetreten. In<br />

seiner groß angelegten Untersuchung zur ,,Sozialgeschichte des Naturrechts"<br />

bezeichnet Breuer (1983) diesen Bruch im Anschluß an Lukács als<br />

Übergang von der „naturwüchsigen" zur „reinen" Vergesellschaftung. Mit<br />

dieser entscheidenden Umstellung der Vergesellschaftungsform werden alle<br />

Strukturen <strong>und</strong> Ereignisse kontingent. Da alles gesellschaftlich „gesetzt" ist,<br />

könnte es im Prinzip auch anders „gesetzt" sein.<br />

Mit dieser reinen Vergesellschaftung geht schließlich ein Differenzierungsprozeß<br />

einher, den ich nicht unter funktionale Differenzierung subsumieren<br />

möchte, sondern der auf das Auseinandertreten von „System <strong>und</strong><br />

Lebenswelt" (Habermas) hinausläuft. Der Kern dieses Vorgangs besteht in<br />

der Ablösung der Gesellschaft von ihren Handlungsgr<strong>und</strong>lagen 1 . Ich denke,<br />

daß die Auseinanderziehung systemischer <strong>und</strong> lebensweltlicher Aspekte als<br />

genau jener Vorgang zu verstehen ist, der in der ökonomischen Anthropologie<br />

(Polanyi) als Herauslösung des Kapitalismus aus normativen Kontexten<br />

beschrieben worden ist. Marktwirtschaften sind in ihrem Funktionieren<br />

nicht oder signifikant weniger als traditionale Gesellschaften von moralischen<br />

Handlungsgr<strong>und</strong>lagen abhängig. Dieser Sachverhalt ist von Marx bis<br />

v.Hayek als die „unpersönliche Ordnung" des Kapitalismus begriffen worden.<br />

Unter Gesichtspunkten der Moral zeichnet den Kapitalismus aus, daß<br />

er mit Minimalanforderungen auskommt. Streissler (1980) hat diesen Sachverhalt<br />

auf den Begriff gebracht: der Kapitalismus ist eine Wirtschaftsordnung,<br />

die selbst unter Teufeln funktionieren könnte.<br />

IV.<br />

Damit sind wir genügend vorbereitet, auch die Antwort auf die Frage nach<br />

dem Zentralproblem kapitalistischer Gesellschaften in einer neuen Richtung<br />

zu suchen, die von den krisentheoretischen Annahmen der politischen Ökonomie<br />

abweicht. Krisentheoretische Ansätze in der Tradition der politischen<br />

Ökonomie rechnen mit Problemen für den Kapitalismus, die im Prinzip<br />

seiner inneren Schwäche <strong>und</strong> Instabilität entspringen. Im Unterschied<br />

hierzu betont eine Theorie selbstdestruktiver Tendenzen der Form, wie sie<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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