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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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lemdruck zurückführen. Nicht Bequemlichkeit oder ökonomische Restriktionen<br />

verursachen ihn, wie häufig angeführt worden ist, sondern die Verunsicherung<br />

gegenüber einem elementaren lebenspraktischen Entscheidungsproblem,<br />

für dessen Vergegenwärtigung <strong>und</strong> Dramatisierung eine Versozialwissenschaftlichung<br />

des Alltags weitgehend verantwortlich ist, dessen<br />

Lösung aber von denselben Sozialwissenschaften der Sache nach nicht angeboten<br />

werden kann, wenn auch häufig genug suggeriert worden ist.<br />

In diesem Zusammenhang bildet die in den letzten Jahren besonders in<br />

den akademisch gebildeten Schichten häufig verneh<strong>mb</strong>are Argumentation,<br />

man könne doch im Angesicht der ökologischen <strong>und</strong> militärischen Bedrohungen<br />

der Zukunft es nicht verantworten, Kinder in die Welt zu setzen,<br />

eine interessante <strong>und</strong> instruktive Erscheinung. Die Vergegenwärtigung allgemeiner<br />

Zukunftsprobleme bei privaten Entscheidungen bedeutet zunächst<br />

einmal eine Steigerung der Begründungs- <strong>und</strong> Rationalitätsverpflichtung<br />

<strong>und</strong> wird subjektiv auch als solche empf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> als Vermeidung einer<br />

dumpf über einen kommenden Schicksalhaftigkeit ausgegeben. Aber die<br />

moralische Figur, die daraus gemacht wird, verweist zugleich auf eine selbsttechnokratisierende<br />

Verweigerung der strukturellen Dialektik von Lebenspraxis<br />

auf Seiten einer <strong>gesellschaftliche</strong>n Gruppierung, die sich als Aufklärungsavantgarde<br />

zumeist empfindet. Denn faktisch läuft diese Begründung<br />

auf eine omnipotente, unerwachsene <strong>und</strong> selbst-entmündigende Verweigerung<br />

von Lebenspraxis insgesamt hinaus, nicht auf eine spezifische, besondere<br />

Rationalität für sich in Anspruch nehmende Entscheidung innerhalb<br />

der Lebenspraxis.<br />

Dies läßt sich leicht erkennen, wenn man die Implikationen des Beispielarguments<br />

gegen die Zeugung von Nachkommen sich klar macht. Selbst<br />

wenn die antizipierbaren Zukunftsprobleme eines würdigen Lebens als<br />

schier unlösbar erscheinen sollten, dann behält diese Erwartung doch immer<br />

den Charakter einer falsifizierbaren Prognose. Jede andere Interpretation<br />

liefe — lebenspraktisch gesehen — auf omnipotenten, die reale Entfaltung<br />

von Geschichte stillstellenden Dogmatismus hinaus. Im Unterschied zu<br />

naturwissenschaftlichen Gegenstandsbereichen können gesellschaftswissenschaftliche<br />

Prognosen nicht nur dadurch falsifiziert werden, daß sie bei<br />

invariant bleibender Struktur des Gegenstandes sich als tatsächlich falsch<br />

erweisen, sondern daß sie, obwohl für eine bestimmte historische Entwicklungsphase<br />

durchaus empirisch triftig, durch die reale historische Entwicklung<br />

im Gegenstandsbereich selbst widerlegt werden oder veralten. Zu dieser<br />

realen historischen Entwicklung bedarf es aber der Nachkommen, die<br />

sich der Offenheit einer zukünftigen <strong>gesellschaftliche</strong>n Praxis stellen <strong>und</strong><br />

problemlösend materiale Rationalität sachlich herstellen. Generalisierte<br />

man nun das besagte Argument gegen Nachkommen zu einer ethischen<br />

Maxime, deren Charakter es ja prinzipiell für sich in Anspruch nimmt, dann<br />

liefe dessen Handlungsfolge darauf hinaus, der zukünftigen Lebenspraxis<br />

das Personal zu entziehen <strong>und</strong> sie damit als solche abzuschaffen.<br />

Diese Diagnose gilt allerdings nur, wenn in einer Familie entsprechend<br />

argumentiert wird, ohne daß der abstrakten wissenschaftlichen Prognose als<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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