die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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Die sternenhelle Nacht war nun mein Element gewor<strong>de</strong>n. Dann, wann es stille war, wie in <strong>de</strong>n Tiefen <strong>de</strong>r<br />
Er<strong>de</strong>, wo geheimnisvoll das Gold wächst, dann hob das schönere Leben meiner Liebe sich an. (Schmidt,<br />
1994: 80)<br />
Hyperion ist verliebt. Erst, wenn er sich mitten in <strong>de</strong>r „stillen“ d.h. wortlosen Natur befin<strong>de</strong>t,<br />
kann er seine tiefsten Liebesgefühle entfalten, <strong>die</strong> ihn mit Diotima vereinigen, <strong>de</strong>nn sonst ertrinken<br />
<strong>die</strong> Gefühle im Wortschwall <strong>de</strong>r Gesellschaft.<br />
Lass mich, rief ich, lass mich <strong>de</strong>in sein, lass mich mein vergessen, lass alles Leben in mir und allen Geist<br />
nur dir zufliegen; nur dir, in seliger en<strong>de</strong>loser Betrachtung! O Diotima! so stand ich sonst auch vor <strong>de</strong>m<br />
dämmern<strong>de</strong>n Götterbil<strong>de</strong>, das meine Liebe sich schuf, vor <strong>de</strong>m Idole meiner einsamen Träume; ich nährt’<br />
es traulich; mit meinem Leben belebt’ ich es, mit <strong>de</strong>n Hoffnungen meines Herzens erfrischt’, erwärmt’ ich<br />
es, aber es gab mir nichts, als was ich gegeben, und wenn ich verarmt war, ließ es mich arm, und nun! nun<br />
hab’ ich im Arme dich, und fühle <strong>de</strong>n Atem <strong>de</strong>iner Brust, und fühle <strong>de</strong>in Aug’ in meinem Auge, <strong>die</strong> schöne<br />
Gegenwart rinnt mir in alle Sinnen herein, und ich halt’ es aus, ich habe das Herrlichste so und bebe nicht<br />
mehr – ja! ich bin wirklich nicht, <strong>de</strong>r ich sonst war, Diotima! ich bin <strong>de</strong>ines gleichen gewor<strong>de</strong>n, und Göttliches<br />
spielt mit Göttlichem jetzt, wie Kin<strong>de</strong>r unter sich spielen. –<br />
Aber etwas stiller musst du mir wer<strong>de</strong>n, sagte sie.<br />
Du hast auch Recht, du Liebenswürdige! rief ich freudig, sonst erscheinen mir ja <strong>die</strong> Grazien nicht; sonst<br />
seh’ ich ja im Meere <strong>de</strong>r Schönheit seine leisen lieblichen Bewegungen nicht. O ich will es noch lernen,<br />
nichts an dir zu übersehen. Gib mir nur Zeit! (Schmidt, 1994: 83 f.)<br />
Hyperion und Diotima sprechen über ihre Liebe und darüber, wie Hyperion noch näher an ihre<br />
Göttlichkeit kommen kann. Sie empfiehlt ihm, öfter auf <strong>die</strong> menschliche Sprache zu verzichten,<br />
„stiller“ zu wer<strong>de</strong>n, um auf <strong>die</strong> Wellenlänge <strong>de</strong>r heiligen Sprache kommen zu können. Er gibt zu,<br />
dass <strong>die</strong> Gottheit ihm sonst nicht erscheinen wird, <strong>de</strong>nn sie drückt ihre Schönheit leise aus. Das<br />
Adverb „leise“ meint hier 'wortlos'.<br />
Unsere Seelen lebten nun immer freier und schöner zusammen, und alles in und um uns vereinigte sich zu<br />
gol<strong>de</strong>nem Frie<strong>de</strong>n. Es schien, als wäre <strong>die</strong> alte Welt gestorben und eine neue begönne mit uns, so geistig<br />
und kräftig und liebend und leicht war alles gewor<strong>de</strong>n, und wir und alle Wesen schwebten, selig vereint,<br />
wie ein Chor von tausend unzertrennlichen Tönen, durch <strong>de</strong>n unendlichen Äther.<br />
Unsre Gespräche gleiteten weg, wie ein himmelblau Gewässer, woraus <strong>de</strong>r Goldsand hin und wie<strong>de</strong>r<br />
blinkt, und unsre Stille war, wie <strong>die</strong> Stille <strong>de</strong>r Berggipfel, wo in herrlich einsamer Höhe, hoch über <strong>de</strong>m<br />
Raume <strong>de</strong>r Gewitter, nur <strong>die</strong> göttliche Luft noch in <strong>de</strong>n Locken <strong>de</strong>s kühnen Wan<strong>de</strong>rers rauscht. (Schmidt,<br />
1994: 84 f.)<br />
Hyperion und Diotima vereinigen sich selig in ihrer Liebe, so dass sie aufhören, Gespräche zu<br />
führen, und statt<strong>de</strong>ssen still sind wie <strong>die</strong> Berggipfel und wie <strong>die</strong> göttliche Luft.<br />
Hier setzten wir uns. Es war eine selige Stille unter uns. Mein Geist umschwebte <strong>die</strong> göttliche Gestalt <strong>de</strong>s<br />
Mädchens, wie eine Blume <strong>de</strong>r Schmetterling, und all mein Wesen erleichterte, vereinte sich in <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r begeistern<strong>de</strong>n Betrachtung. (Schmidt, 1994: 98)<br />
Hyperion betrachtet Diotima stillschweigend, ist glücklich, begeistert und fühlt sich mit ihr vereint.<br />
Es war Abend gewor<strong>de</strong>n und <strong>die</strong> Sterne gingen herauf am Himmel. Wir stan<strong>de</strong>n still unter <strong>de</strong>m Hause.<br />
Ewiges war in uns, über uns. Zart, wie <strong>de</strong>r Äther, umwand mich Diotima. Törichter, was ist <strong>de</strong>nn Trennung?<br />
flüsterte sie geheimnisvoll mir zu, mit <strong>de</strong>m Lächeln einer Unsterblichen. (Schmidt, 1994: 114)<br />
Hyperion verabschie<strong>de</strong>t sich gera<strong>de</strong> von Diotima, weil er in <strong>de</strong>n Krieg zieht. Das Adverb „still“<br />
hat hier seine drei Be<strong>de</strong>utungen: 'reglos, friedlich, wortlos'. Durch <strong>die</strong> Ruhe und Wortlosigkeit<br />
sind sie sich vereint, so dass sie fühlen, „Ewiges“ sei „in“ ihnen und „über“ ihnen. Wenn <strong>die</strong><br />
Wortlosigkeit nicht auch ein Teil <strong>die</strong>ser Stille wäre, hätte es wenig Sinn, dass Diotima flüstert,<br />
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