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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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B.I.b.3.3. Die Natur bzw. Gottheit spricht wortlos zum<br />

Menschen<br />

Der liebe Vaterlandsbo<strong>de</strong>n gibt mir wie<strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> und Leid. [...]<br />

Wie ein siegen<strong>de</strong>r Halbgott, wallte da zwischen <strong>de</strong>r herrlichen Wildnis <strong>de</strong>s Helikon und Parnass, wo das<br />

Morgenrot um hun<strong>de</strong>rt überschneite Gipfel spielt, und zwischen <strong>de</strong>r para<strong>die</strong>sischen Ebene von Sicyon <strong>de</strong>r<br />

glänzen<strong>de</strong> Meerbusen herein, gegen <strong>die</strong> Stadt <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong>, das jugendliche Korinth, und schüttete <strong>de</strong>n erbeuteten<br />

Reichtum aller Zonen vor seiner Lieblingin aus.<br />

Aber was soll mir das? Das Geschrei <strong>de</strong>s Schakals, <strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>n Steinhaufen <strong>de</strong>s Altertums sein wil<strong>de</strong>s<br />

Grablied singt, schreckt ja aus meinen Träumen mich auf.<br />

Wohl <strong>de</strong>m Manne, <strong>de</strong>m ein blühend Vaterland das Herz erfreut und stärkt! Mir ist, als würd’ ich in <strong>de</strong>n<br />

Sumpf geworfen, als schlüge man <strong>de</strong>n Sarg<strong>de</strong>ckel über mir zu, wenn einer an das Meinige mich mahnt, und<br />

wenn mich einer einen Griechen nennt, so wird mir immer, als schnürt’ er mit <strong>de</strong>m Halsband eines Hun<strong>de</strong>s<br />

mir <strong>die</strong> Kehle zu. (Schmidt, 1994: 14)<br />

Hyperion ist glücklich, weil er seine Heimat sieht und liebt, aber auch traurig, weil sie in Ruinen<br />

liegt. Der „Schakal“ ist meistens nachts tätig und frisst vor allem Aas. Die Nacht steht oft für<br />

Trauriges. Das Aas steht für Verdorbenheit. Ein Schakal bellt nicht, er heult. Und 'heulen' steht<br />

für 'weinen', 'traurig sein'. Das „Grablied“ bzw. Totenlied steht für 'Traurigkeitsausdruck'. Es ist<br />

unmöglich, dass ein Schakal singt, er kann nur heulen. Es ist auch unmöglich, dass ein Schakal<br />

ein Grablied einstimmt, weil er traurig über <strong>de</strong>n Untergang <strong>de</strong>r altgriechischen Zivilisation ist.<br />

Dies alles impliziert, dass <strong>die</strong> Natur personifiziert ist, dass sie durch <strong>die</strong> Stimme <strong>de</strong>s Schakals<br />

spricht, und dass sie so ihre Traurigkeit über <strong>die</strong> untergegangene Antike ausdrückt. Deswegen<br />

wählt Hyperion das Verb „singen“ statt 'heulen' bzw. 'schreien'. Die Natur stimmt mit Hyperion<br />

in seiner Trauer über <strong>die</strong> verlorene Antike überein und drückt <strong>die</strong>s nicht mit Worten, son<strong>de</strong>rn<br />

durch Schakalgeheul aus, das Hyperion treffend als Grabgesang auslegt.<br />

Auf <strong>die</strong>ser Höhe steh’ ich oft, mein Bellarmin! Aber ein Moment <strong>de</strong>s Besinnens wirft mich herab. Ich <strong>de</strong>nke<br />

nach und fin<strong>de</strong> mich, wie ich zuvor war, allein, mit allen Schmerzen <strong>de</strong>r Sterblichkeit, und meines Herzens<br />

Asyl, <strong>die</strong> ewig einige Welt, ist hin; <strong>die</strong> Natur verschließt <strong>die</strong> Arme, und ich stehe, wie ein Fremdling,<br />

vor ihr, und verstehe sie nicht. (Schmidt, 1994: 16)<br />

Hyperion befin<strong>de</strong>t sich mitten in <strong>de</strong>r Natur und fühlt sich mit ihr vereint. Aber plötzlich kommen<br />

neue Gedanken in seinen Kopf, und <strong>de</strong>r Kontakt bricht ab, so dass <strong>die</strong> Kommunikation nicht<br />

mehr möglich ist und Hyperion <strong>die</strong> Natur nicht mehr versteht. Nur ein Gedankengang vermag<br />

<strong>die</strong>se Kommunikation zu stören: Dies impliziert, dass sie nicht auf <strong>die</strong> übliche menschliche Weise<br />

verläuft. Dasselbe wird von <strong>de</strong>r Tatsache impliziert, dass Hyperion nicht schreibt, <strong>die</strong> Natur<br />

verschließe ihren Mund, son<strong>de</strong>rn ihre Arme. Körperkontakt ist <strong>die</strong> Art wortloser Kommunikation,<br />

<strong>die</strong> z.B. eine Mutter mit ihrem Säugling verbin<strong>de</strong>t.<br />

Wie ein Meer, lag das Land, wovon ich heraufkam, vor mir da, jugendlich, voll lebendiger Freu<strong>de</strong>; es war<br />

ein himmlisch unendlich Farbenspiel, womit <strong>de</strong>r Frühling mein Herz begrüßte, und wie <strong>die</strong> Sonne <strong>de</strong>s<br />

Himmels sich wie<strong>de</strong>rfand im tausendfachen Wechsel <strong>de</strong>s Lichts, das ihr <strong>die</strong> Er<strong>de</strong> zurückgab, so erkannte<br />

mein Geist sich in <strong>de</strong>r Fülle <strong>de</strong>s Lebens, <strong>die</strong> ihn umfing, von allen Seiten ihn überfiel. [...] rechts wälzten<br />

Wetterwolken sich her über <strong>de</strong>n Wäl<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Sipylus; ich fühlte nicht <strong>de</strong>n Sturm, <strong>de</strong>r sie trug, ich fühlte nur<br />

ein Lüftchen in <strong>de</strong>n Locken, aber ihren Donner hört’ ich, wie man <strong>die</strong> Stimme <strong>de</strong>r Zukunft hört, und ihre<br />

Flammen sah ich, wie das ferne Licht <strong>de</strong>r geahneten Gottheit. (Schmidt, 1994: 28 f.)<br />

Der Akt <strong>de</strong>s Begrüßens präsupponiert Sprache. Wenn <strong>de</strong>r Frühling einen Menschen begrüßt,<br />

dann wird impliziert, dass <strong>die</strong> Natur eine Sprache besitzt, welche übrigens selbstverständlich<br />

wortlos sein muss. Man präsupponiert auch Sprache – aber vielleicht nicht immer zu Recht –,<br />

wenn man eine Stimme hört. Wenn es <strong>die</strong> Stimme <strong>de</strong>r Zukunft ist, welche ja kein Mensch ist,<br />

und wenn <strong>die</strong>se außer<strong>de</strong>m mit <strong>de</strong>m Laut <strong>de</strong>r Natur – <strong>de</strong>m Donner – verglichen wird, dann wird<br />

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