die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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Hyperion! o mein Hyperion! warum gehn wir <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> stillen Lebenswege nicht auch? Es sind heilige<br />
Namen, Winter und Frühling und Sommer und Herbst! wir aber kennen sie nicht. Ist es nicht Sün<strong>de</strong>, zu<br />
trauern im Frühling? warum tun wir es <strong>de</strong>nnoch? (Schmidt, 1994: 122)<br />
Dies schreibt Diotima an Hyperion. Ihre Worte sind auf <strong>de</strong>n ersten Blick sinnlos, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Namen<br />
<strong>de</strong>r vier Jahreszeiten sind je<strong>de</strong>m hinlänglich bekannt. Sie kann nur gemeint haben, dass <strong>die</strong><br />
Menschen <strong>die</strong> heilige Be<strong>de</strong>utung <strong>die</strong>ser Namen nicht kennen, weil sie nicht fähig sind, aus ihnen<br />
Kontakt zur Natur und Lebensenergie zu schöpfen, wie Diotima es gera<strong>de</strong> getan hat.<br />
Wir haben noch zu gutem En<strong>de</strong> <strong>de</strong>in Fest gefeiert, schönes Leben! ehe <strong>de</strong>r Lärm beginnt. Es war ein himmlischer<br />
Tag. Das hol<strong>de</strong> Frühjahr weht’ und glänzte vom Orient her, entlockt’ uns <strong>de</strong>inen Namen, wie es <strong>de</strong>n<br />
Bäumen <strong>die</strong> Blüten entlockt, und alle seligen Geheimnisse <strong>de</strong>r Liebe entatmeten mir. (Schmidt, 1994: 123<br />
f.)<br />
Dies schreibt Hyperion an Diotima kurz vor <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>s Krieges. Er meint, er hat Alabanda<br />
<strong>die</strong> Geheimnisse seiner Liebe zu Diotima erzählt. Der himmlische Tag <strong>de</strong>s Frühjahrs hat Hyperion<br />
<strong>de</strong>n Namen und <strong>die</strong> Geschichte Diotimas entlockt. Dieser Ausdruck präsupponiert, dass <strong>de</strong>r<br />
Tag menschliche Züge hat und fähig ist, von einem Menschen Worte zu vernehmen.<br />
da ruhn wir dann erst, Alabanda, wenn <strong>de</strong>s Genius Wonne kein Geheimnis mehr ist, dann erst, wenn <strong>die</strong><br />
Augen all in Triumphbogen sich wan<strong>de</strong>ln, wo <strong>de</strong>r Menschengeist, <strong>de</strong>r lang abwesen<strong>de</strong>, hervorglänzt aus<br />
<strong>de</strong>n Irren und Lei<strong>de</strong>n und siegesfroh <strong>de</strong>n väterlichen Äther grüßt. (Schmidt, 1994: 124)<br />
Hyperion und Alabanda kämpfen am Befreiungskrieg. Hyperion ermutigt seinen Freund, in<strong>de</strong>m<br />
er ihm sagt, dass <strong>de</strong>r Krieg erst zu En<strong>de</strong> sein wird, wenn <strong>die</strong> Menschheit Kontakt mit <strong>de</strong>r Gottheit<br />
– <strong>de</strong>m „väterlichen Äther“ – aufnimmt.<br />
Wie wohl ist dann <strong>de</strong>s Abends mir bei meinem Alabanda, wenn wir zur Lust auf muntern Rossen <strong>die</strong> sonnenroten<br />
Hügel umschweifen, und auf <strong>de</strong>n Gipfeln, wo wir weilen, <strong>die</strong> Luft in <strong>de</strong>n Mähnen unserer Tiere<br />
spielt, und das freundliche Säuseln in unsere Gespräche sich mischt, in<strong>de</strong>s wir hinaussehn in <strong>die</strong> Fernen<br />
von Sparta, <strong>die</strong> unser Kampfpreis sind! (Schmidt, 1994: 126)<br />
Hyperion beschreibt in <strong>die</strong>sem Brief an Diotima, wie <strong>die</strong> Aben<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Kriegsalltags verlaufen.<br />
Die Luft säuselt freundlich. Freundlichkeit präsupponiert Absicht, und Absicht präsupponiert als<br />
Subjekt einen Menschen o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st ein hoch entwickeltes Tier. Dadurch wird also <strong>die</strong> Luft<br />
personifiziert. Und nur ein Mensch o<strong>de</strong>r ein Wesen, das Sprache versteht, kann sich in <strong>die</strong> Gespräche<br />
an<strong>de</strong>rer mischen. Dieser enge und sprachliche Kontakt mit <strong>de</strong>r göttlichen Natur wirkt<br />
sich wohltuend auf Hyperions Seele aus.<br />
Am Eurotas stehet mein Zelt, und wenn ich nach Mitternacht erwache, rauscht <strong>de</strong>r alte Flussgott mahnend<br />
mir vorüber, und lächelnd nehm’ ich <strong>die</strong> Blumen <strong>de</strong>s Ufers, und streue sie in seine glänzen<strong>de</strong> Welle und<br />
sag’ ihm: Nimm es zum Zeichen, du Einsamer! Bald umblüht das alte Leben dich wie<strong>de</strong>r. (Schmidt, 1994:<br />
128)<br />
Hyperion kommuniziert mit <strong>de</strong>m Flussgott durch menschliche Sprache. Ein weiteres Zeichen,<br />
wodurch er auch mit <strong>de</strong>m Fluss kommuniziert, sind <strong>die</strong> Blumen, <strong>die</strong> er ihm in <strong>die</strong> Wellen streut.<br />
oft seh’ ich sie, wie eine Katarakte, dort herunterwogen durch <strong>die</strong> Epidaurischen Wäl<strong>de</strong>r und ihre Waffen<br />
fernher glänzen im Sonnenlichte, das, wie ein Herold, sie geleitet, o mein Hyperion! und du kommst geschwin<strong>de</strong><br />
nach Kalaurea herüber und grüßest <strong>die</strong> stillen Wäl<strong>de</strong>r unserer Liebe, grüßest mich (Schmidt,<br />
1994: 129)<br />
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