die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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O ihr Uferwei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Lethe! ihr abendrötlichen Pfa<strong>de</strong> in Elysiums Wäl<strong>de</strong>rn! ihr Lilien an <strong>de</strong>n Bächen <strong>de</strong>s<br />
Tals! ihr Rosenkränze <strong>de</strong>s Hügels! Ich glaub’ an euch, in <strong>die</strong>ser freundlichen Stun<strong>de</strong>, und spreche+ zu<br />
meinem Herzen: dort fin<strong>de</strong>st du sie wie<strong>de</strong>r, und alle Freu<strong>de</strong>, <strong>die</strong> du verlorst.<br />
#*79*#HYPERION AN BELLARMIN<br />
Ich will dir immer mehr von meiner Seligkeit erzählen+.<br />
Ich will <strong>die</strong> Brust an <strong>de</strong>n Freu<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Vergangenheit versuchen, bis sie, wie Stahl, wird, ich will mich üben<br />
an ihnen, bis ich unüberwindlich bin.<br />
Ha! fallen sie doch, wie ein Schwertschlag, oft mir auf <strong>die</strong> Seele, aber ich spiele mit <strong>de</strong>m Schwerte, bis ich<br />
es gewohnt bin, ich halte <strong>die</strong> Hand ins Feuer, bis ich es ertrage, wie Wasser.<br />
Ich will nicht zagen; ja! ich will stark sein! ich will mir nichts verhehlen, will von allen Seligkeiten mir <strong>die</strong><br />
seligste aus <strong>de</strong>m Grabe beschwören+.<br />
Es ist unglaublich, dass <strong>de</strong>r Mensch sich vor <strong>de</strong>m Schönsten fürchten soll; aber es ist so.<br />
O bin ich doch hun<strong>de</strong>rtmal vor <strong>die</strong>sen Augenblicken, <strong>die</strong>ser töten<strong>de</strong>n Wonne meiner Erinnerungen geflohen<br />
und habe mein Auge hinweggewandt, wie ein Kind vor Blitzen! und <strong>de</strong>nnoch wächst im üppigen Garten<br />
<strong>de</strong>r Welt nichts Lieblichers, wie meine Freu<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nnoch ge<strong>de</strong>iht im Himmel und auf Er<strong>de</strong>n nichts Edleres,<br />
wie meine Freu<strong>de</strong>n.<br />
Aber nur dir, mein Bellarmin, nur einer reinen freien Seele, wie <strong>die</strong> <strong>de</strong>ine ist, erzähl’+ ich’s. So freigebig,<br />
wie <strong>die</strong> Sonne mit ihren Strahlen, will ich nicht sein; meine Perlen will ich vor <strong>die</strong> alberne Menge nicht<br />
werfen.<br />
Ich kannte, seit <strong>de</strong>m letzten Seelengespräche+, mit je<strong>de</strong>m Tage mich weniger. Ich fühlt’, es war ein heilig<br />
Geheimnis zwischen mir und Diotima.<br />
Ich staunte, träumte. Als wär’ um Mitternacht ein seliger Geist mir erschienen und hätte mich erkoren, mit<br />
ihm umzugehn, so war es mir in <strong>de</strong>r Seele.<br />
O es ist ein seltsames Gemische von Seligkeit und Schwermut, wenn es so sich offenbart, dass wir auf<br />
immer heraus sind aus <strong>de</strong>m gewöhnlichen Dasein.<br />
Es war mir seit<strong>de</strong>m nimmer gelungen, Diotima allein zu sehn. Immer musst’ ein Dritter uns stören, trennen,<br />
und <strong>die</strong> #*80*#Welt lag zwischen ihr und mir, wie eine unendliche Leere. Sechs to<strong>de</strong>sbange Tage gingen<br />
so vorüber, ohne dass ich etwas wusste von Diotima. Es war, als lähmten <strong>die</strong> an<strong>de</strong>rn, <strong>die</strong> um uns waren, mir<br />
<strong>die</strong> Sinne, als töteten sie mein ganzes äußeres Leben, damit auf keinem Wege <strong>die</strong> verschlossene Seele sich<br />
hinüber helfen möchte zu ihr.<br />
Wollt’ ich mit <strong>de</strong>m Auge sie suchen, so wurd’ es Nacht vor mir, wollt’ ich mich mit einem Wörtchen+ an<br />
sie wen<strong>de</strong>n, so erstickt’ es in <strong>de</strong>r Kehle+.<br />
Ach! mir wollte das heilige namenlose+ Verlangen oft <strong>die</strong> Brust zerreißen, und <strong>die</strong> mächtige Liebe zürnt’<br />
oft, wie ein gefangener Titan, in mir. So tief, so innigst unversöhnlich hatte mein Geist noch nie sich gegen<br />
<strong>die</strong> Ketten gesträubt, <strong>die</strong> das Schicksal ihm schmie<strong>de</strong>t, gegen das eiserne unerbittliche Gesetz, geschie<strong>de</strong>n<br />
zu sein, nicht Eine Seele zu sein mit seiner liebenswürdigen Hälfte.<br />
Die sternenhelle Nacht war nun mein Element gewor<strong>de</strong>n. Dann, wann es stille+ war, wie in <strong>de</strong>n Tiefen <strong>de</strong>r<br />
Er<strong>de</strong>, wo geheimnisvoll das Gold wächst, dann hob das schönere Leben meiner Liebe sich an.<br />
Da übte das Herz sein Recht, zu dichten+, aus. Da sagt’+ es mir, wie Hyperions Geist im Vorelysium mit<br />
seiner hol<strong>de</strong>n Diotima gespielt, eh er herabgekommen zur Er<strong>de</strong>, in göttlicher Kindheit bei <strong>de</strong>m Wohlgetöne<br />
<strong>de</strong>s Quells, und unter Zweigen, wie wir <strong>die</strong> Zweige <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> sehn, wenn sie verschönert aus <strong>de</strong>m gül<strong>de</strong>nen<br />
Strome blinken.<br />
Und, wie <strong>die</strong> Vergangenheit, öffnete sich <strong>die</strong> Pforte <strong>de</strong>r Zukunft in mir.<br />
Da flogen wir, Diotima und ich, da wan<strong>de</strong>rten wir, wie Schwalben, von einem Frühling <strong>de</strong>r Welt zum<br />
an<strong>de</strong>rn, durch <strong>de</strong>r Sonne weites Gebiet und drüber hinaus, zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn Inseln <strong>de</strong>s Himmels, an <strong>de</strong>s Sirius<br />
goldne Küsten, in <strong>die</strong> Geistertale <strong>de</strong>s Arcturs –<br />
O es ist doch wohl wünschenswert, so aus Einem Kelche mit <strong>de</strong>r Geliebten <strong>die</strong> Wonne <strong>de</strong>r Welt zu trinken!<br />
Berauscht vom seligen Wiegenlie<strong>de</strong>+, das ich mir sang+, schlief ich ein, mitten unter <strong>de</strong>n herrlichen<br />
Phantomen.<br />
#*81*#Wie aber am Strahle <strong>de</strong>s Morgenlichts das Leben <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> sich wie<strong>de</strong>r entzün<strong>de</strong>te, sah ich empor<br />
und suchte <strong>die</strong> Träume <strong>de</strong>r Nacht. Sie waren, wie <strong>die</strong> schönen Sterne, verschwun<strong>de</strong>n, und nur <strong>die</strong> Wonne<br />
<strong>de</strong>r Wehmut zeugt’ in meiner Seele von ihnen.<br />
Ich trauerte; aber ich glaube, dass man unter <strong>de</strong>n Seligen auch so trauert. Sie war <strong>die</strong> Botin <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong>,<br />
<strong>die</strong>se Trauer, sie war <strong>die</strong> grauen<strong>de</strong> Dämmerung, woran <strong>die</strong> unzähligen Rosen <strong>de</strong>s Morgenrots sprossen. –<br />
Der glühen<strong>de</strong> Sommertag hatte jetzt alles in <strong>die</strong> dunkeln Schatten gescheucht. Auch um Diotimas Haus war<br />
alles still+ und leer, und <strong>die</strong> neidischen Vorhänge stan<strong>de</strong>n mir an allen Fenstern im Wege.<br />
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