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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Der Mensch, als Erkennen<strong>de</strong>s, muss auch verschie<strong>de</strong>ne Welten unterschei<strong>de</strong>n, weil Erkenntnis nur durch<br />

Entgegensetzung möglich ist. (Schmidt, 1994: 769)<br />

Ein solcher Mensch verliert somit das Bewusstsein, gerät in ein unruhiges und friedloses Verstummen,<br />

ist im schlechten Sinne tierisch gewor<strong>de</strong>n.<br />

Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass Tiere und Kin<strong>de</strong>r nie ein Bewusstsein gehabt haben.<br />

Folglich sind sie nicht verkommen, son<strong>de</strong>rn bloß unvollkommen und unwissend. Sie gehören<br />

direkt und unmittelbar zur Natur, wie auch <strong>die</strong> Pflanzen und <strong>die</strong> Mineralien. Sie sind zur Erkenntnis<br />

nicht fähig. Im Gegensatz dazu darf ein Mensch, <strong>de</strong>r von Natur aus zum Bewusstsein<br />

berufen ist, auf seine beste und wichtigste Eigenschaft – <strong>die</strong> Erkenntnisfähigkeit – nicht verzichten,<br />

obwohl solche Fähigkeit sein Herz mit Schmerzen zerreißt, in<strong>de</strong>m er sich dann als erkennen<strong>de</strong>s<br />

Subjekt sieht, sich <strong>de</strong>r Trennung mit <strong>de</strong>m Objekt – d.h. mit <strong>de</strong>r Natur – bewusst wird und<br />

sich vom Kreislauf <strong>de</strong>r Natur ausgenommen fühlt. Der Mensch darf trotz<strong>de</strong>m auf seine Erkenntnisfähigkeit<br />

nicht verzichten, weil er sich dann entmenschlicht und entleert fühlt und daher, seiner<br />

angeborenen Neigung folgend, unbewusst in <strong>de</strong>n Tod eilt. So in <strong>de</strong>n Anmerkungen zur Antigonä:<br />

Vater <strong>de</strong>r Zeit o<strong>de</strong>r: Vater <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, weil sein Charakter ist, <strong>de</strong>r ewigen Ten<strong>de</strong>nz entgegen, das Streben aus<br />

<strong>die</strong>ser Welt in <strong>die</strong> andre zu kehren zu einem Streben aus einer an<strong>de</strong>rn Welt in <strong>die</strong>se. (Schmidt, 1994: 916,<br />

25).<br />

Ein höchst bewusster und erkennen<strong>de</strong>r Mensch wür<strong>de</strong> sich hingegen mit Gott zusammentun, um<br />

sich selbst zu schonen und sein eigenes Leben zu verlängern. Der Mensch ist wie ein Fluss, <strong>de</strong>r<br />

nicht allzu schnell ins Meer mün<strong>de</strong>n sollte, das für <strong>de</strong>n Tod steht. So im 1801 entstan<strong>de</strong>nen Gedicht<br />

Der Rhein:<br />

Ein Gott will aber sparen <strong>de</strong>n Söhnen / das eilen<strong>de</strong> Leben [...] wenn unenthaltsam, aber gehemmt / von heiligen<br />

Alpen [...]. (Schmidt, 1992a: 330, 76).<br />

Doch <strong>de</strong>r selbstzerstörerische Mensch bringt sich selbst meistens nicht körperlich um: Die Natur<br />

hat alle Lebewesen so vorbestimmt, dass sie vor allem versuchen müssen, weiter zu leben. Der<br />

Überlebenswille ist ja unser allererster und kräftigster Antrieb. Die unerbittliche Natur lässt aber<br />

zu, dass man sich geistig tötet. Um <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nsabwesenheit willen wirft man sich in <strong>die</strong> unerkannte<br />

und <strong>de</strong>shalb gefährlich gewor<strong>de</strong>ne Natur, ins Tierische, Unbewusste, Geschichtslose und<br />

Sprachlose hinein, in <strong>de</strong>n Abgrund, wie es bei Höl<strong>de</strong>rlin im zwischen 1799 und 1806 datierbaren<br />

Entwurf Vom Abgrund nämlich heißt:<br />

Denn sinnlicher sind Menschen / in <strong>de</strong>m Brand / <strong>de</strong>r Wüste / lichttrunken und <strong>de</strong>r Tiergeist ruht / mit ihnen.<br />

(Schmidt, 1992a: 416, 4)<br />

Je sinnlicher <strong>die</strong> Menschen sind, <strong>de</strong>sto weniger geistig benehmen sie sich. Man hat offenbar jene<br />

römische Maxime vergessen: Mens sana in corpore sano. Höl<strong>de</strong>rlin schreibt im Hyperion:<br />

Wir haben unsre Lust daran, uns in <strong>die</strong> Nacht <strong>de</strong>s Unbekannten, in <strong>die</strong> kalte Frem<strong>de</strong> irgend einer an<strong>de</strong>rn<br />

Welt zu stürzen, und, wäre es möglich, wir verließen <strong>de</strong>r Sonne Gebiet und stürmten über <strong>de</strong>s Irrsterns<br />

Grenzen hinaus. Ach! für <strong>de</strong>s Menschen wil<strong>de</strong> Brust ist keine Heimat möglich; und wie <strong>de</strong>r Sonne Strahl<br />

<strong>die</strong> Pflanzen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, <strong>die</strong> er entfaltete, wie<strong>de</strong>r versengt, so tötet <strong>de</strong>r Mensch <strong>die</strong> süßen Blumen, <strong>die</strong> an seiner<br />

Brust ge<strong>de</strong>ihen, <strong>die</strong> Freu<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Verwandtschaft und <strong>de</strong>r Liebe. (Schmidt, 1994: 24)<br />

Der Strahl <strong>de</strong>r Sonne, zu welcher <strong>de</strong>r Mensch in keiner harmonischen Beziehung mehr steht, versengt<br />

<strong>de</strong>mnach <strong>die</strong> menschliche Seele und macht sie zu einer Wüste. Die Sonne kann Licht und<br />

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