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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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nie erfuhr, wie nur in Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Begeisterung alles innigst übereinstimmt, <strong>de</strong>r Mensch wird nicht einmal<br />

ein philosophischer Zweifler wer<strong>de</strong>n, sein Geist ist nicht einmal zum Nie<strong>de</strong>rreißen gemacht, geschweige<br />

zum Aufbaun. Denn glaubt es mir, <strong>de</strong>r Zweifler fin<strong>de</strong>t darum nur in allem, was gedacht wird, Wi<strong>de</strong>rspruch<br />

und Mangel, weil er <strong>die</strong> Harmonie+ <strong>de</strong>r mangellosen Schönheit kennt, <strong>die</strong> nie gedacht wird. Das trockne<br />

Brot, das menschliche Vernunft wohlmeinend ihm reicht, verschmähet er nur darum, weil er ingeheim am<br />

Göttertische schwelgt.<br />

Schwärmer! rief+ Diotima, darum warst auch du ein Zweifler. Aber <strong>die</strong> Athener!<br />

Ich bin ganz nah an ihnen, sagt’+ ich. Das große Wort+, das εν διαφερον εαυτω (das Eine in sich selber<br />

unterschiedne) <strong>de</strong>s Heraklit, das konnte nur ein Grieche fin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn es ist das Wesen <strong>de</strong>r Schönheit, und<br />

ehe das gefun<strong>de</strong>n war, gab’s keine Philosophie.<br />

Nun konnte man bestimmen, das Ganze war da. Die Blume war gereift; man konnte nun zerglie<strong>de</strong>rn.<br />

Der Moment <strong>de</strong>r Schönheit war nun kund gewor<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>n Menschen, war da im Leben und Geiste, das<br />

Unendlicheinige war.<br />

Man konnt’ es auseinan<strong>de</strong>r setzen, zerteilen im Geiste, konnte das Geteilte neu zusammen<strong>de</strong>nken, konnte<br />

so das Wesen <strong>de</strong>s Höchsten und Besten mehr und mehr erkennen und das Erkannte zum Gesetze geben in<br />

<strong>de</strong>s Geistes mannigfaltigen Gebieten.<br />

Seht ihr nun, warum beson<strong>de</strong>rs <strong>die</strong> Athener auch ein philosophisch Volk sein mussten?<br />

Das konnte <strong>de</strong>r Ägyptier nicht. Wer mit <strong>de</strong>m Himmel und <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> nicht in gleicher Lieb’ und Gegenliebe<br />

lebt, wer nicht in <strong>die</strong>sem Sinne einig lebt mit <strong>de</strong>m Elemente, worin er sich regt, ist von Natur auch in sich<br />

selbst so einig nicht, und erfährt <strong>die</strong> ewige Schönheit wenigstens so leicht nicht wie ein Grieche.<br />

#*93*#Wie ein prächtiger Despot, wirft seine Bewohner <strong>de</strong>r orientalische Himmelsstrich mit seiner Macht<br />

und seinem Glanze zu Bo<strong>de</strong>n, und, ehe <strong>de</strong>r Mensch noch gehen gelernt hat, muss er knien, eh er sprechen+<br />

gelernt hat, muss er beten+; ehe sein Herz ein Gleichgewicht hat, muss es sich neigen, und ehe <strong>de</strong>r Geist<br />

noch stark genug ist, Blumen und Früchte zu tragen, ziehet Schicksal und Natur mit brennen<strong>de</strong>r Hitze alle<br />

Kraft aus ihm. Der Ägyptier ist hingegeben, eh er ein Ganzes ist, und darum weiß er nichts vom Ganzen,<br />

nichts von Schönheit, und das Höchste, was er nennt+, ist eine verschleierte Macht, ein schauerhaft Rätsel;<br />

<strong>die</strong> stumme+ finstre Isis ist sein Erstes und Letztes, eine leere Unendlichkeit und da heraus ist nie<br />

Vernünftiges gekommen. Auch aus <strong>de</strong>m erhabensten Nichts wird Nichts geboren.<br />

Der Nor<strong>de</strong>n treibt hingegen seine Zöglinge zu früh in sich hinein, und wenn <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s feurigen<br />

Ägyptiers zu reiselustig in <strong>die</strong> Welt hinaus eilt, schickt im Nor<strong>de</strong>n sich <strong>de</strong>r Geist zur Rückkehr in sich<br />

selbst an, ehe er nur reisefertig ist.<br />

Man muss im Nor<strong>de</strong>n schon verständig sein, noch eh ein reif Gefühl in einem ist, man misst sich Schuld<br />

von allem bei, noch ehe <strong>die</strong> Unbefangenheit ihr schönes En<strong>de</strong> erreicht hat; man muss vernünftig, muss zum<br />

selbstbewussten Geiste wer<strong>de</strong>n, ehe man Mensch, zum klugen Manne, ehe man Kind ist; <strong>die</strong> Einigkeit <strong>de</strong>s<br />

ganzen Menschen, <strong>die</strong> Schönheit lässt man nicht in ihm ge<strong>de</strong>ihn und reifen, eh er sich bil<strong>de</strong>t und<br />

entwickelt. Der bloße Verstand, <strong>die</strong> bloße Vernunft sind immer <strong>die</strong> Könige <strong>de</strong>s Nor<strong>de</strong>ns.<br />

Aber aus bloßem Verstand ist nie Verständiges, aus bloßer Vernunft ist nie Vernünftiges gekommen.<br />

Verstand ist ohne Geistesschönheit, wie ein <strong>die</strong>nstbarer Geselle, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Zaun aus grobem Holze zimmert,<br />

wie ihm vorgezeichnet ist, und <strong>die</strong> gezimmerten Pfähle aneinan<strong>de</strong>r nagelt, für <strong>de</strong>n Garten, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Meister<br />

bauen will. Des Verstan<strong>de</strong>s ganzes Geschäft ist Notwerk. Vor <strong>de</strong>m Unsinn, vor <strong>de</strong>m Unrecht schützt er uns,<br />

in<strong>de</strong>m er ordnet; aber #*94*#sicher zu sein vor Unsinn und vor Unrecht ist doch nicht <strong>die</strong> höchste Stufe<br />

menschlicher Vortrefflichkeit.<br />

Vernunft ist ohne Geistes­, ohne Herzensschönheit, wie ein Treiber, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>s Hauses über <strong>die</strong><br />

Knechte gesetzt hat; <strong>de</strong>r weiß, so wenig, als <strong>die</strong> Knechte, was aus all <strong>de</strong>r unendlichen Arbeit wer<strong>de</strong>n soll,<br />

und ruft+ nur: tummelt euch, und siehet es fast ungern, wenn es vor sich geht, <strong>de</strong>nn am En<strong>de</strong> hätt’ er ja<br />

nichts mehr zu treiben, und seine Rolle wäre gespielt.<br />

Aus bloßem Verstan<strong>de</strong> kommt keine Philosophie, <strong>de</strong>nn Philosophie ist mehr, <strong>de</strong>nn nur <strong>die</strong> beschränkte<br />

Erkenntnis <strong>de</strong>s Vorhandnen.<br />

Aus bloßer Vernunft kommt keine Philosophie, <strong>de</strong>nn Philosophie ist mehr, <strong>de</strong>nn blin<strong>de</strong> For<strong>de</strong>rung eines nie<br />

zu endigen<strong>de</strong>n Fortschritts in Vereinigung und Unterscheidung eines möglichen Stoffs.<br />

Leuchtet aber das göttliche εν διαφερον εαυτω , das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r Schönheit <strong>de</strong>r streben<strong>de</strong>n Vernunft, so for<strong>de</strong>rt<br />

sie nicht blind, und weiß, warum, wozu sie for<strong>de</strong>rt.<br />

Scheint, wie <strong>de</strong>r Maitag in <strong>de</strong>s Künstlers+ Werkstatt, <strong>de</strong>m Verstan<strong>de</strong> <strong>die</strong> Sonne <strong>de</strong>s Schönen zu seinem<br />

Geschäfte, so schwärmt er zwar nicht hinaus und lässt sein Notwerk stehn, doch <strong>de</strong>nkt er gerne <strong>de</strong>s<br />

Festtags, wo er wan<strong>de</strong>ln wird im verjüngen<strong>de</strong>n Frühlingslichte.<br />

So weit war ich, als wir lan<strong>de</strong>ten an <strong>de</strong>r Küste von Attika.<br />

Das alte Athen lag jetzt zu sehr uns im Sinne, als dass wir hätten viel in <strong>de</strong>r Ordnung sprechen+ mögen,<br />

und ich wun<strong>de</strong>rte mich jetzt selber über <strong>die</strong> Art meiner Äußerungen+. Wie bin ich doch, rief+ ich, auf <strong>die</strong><br />

trocknen Berggipfel geraten, worauf ihr mich saht?<br />

Es ist immer so, erwi<strong>de</strong>rte Diotima, wenn uns recht wohl ist. Die üppige Kraft sucht eine Arbeit. Die<br />

jungen Lämmer stoßen sich <strong>die</strong> Stirnen aneinan<strong>de</strong>r, wenn sie von <strong>de</strong>r Mutter Milch gesättiget sind.<br />

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