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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Es kam nicht Lust und nicht Bewun<strong>de</strong>rung, es kam <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Himmels unter uns.<br />

Tausendmal hab’ ich es ihr und mir gesagt: das Schönste ist auch das Heiligste. Und so war alles an ihr.<br />

Wie ihr Gesang, so auch ihr Leben. (Schmidt, 1994: 65)<br />

Wenn Diotima sang, benutzte sie <strong>die</strong> heilige Sprache, und ergriff <strong>die</strong> Herzen aller, auch Hyperions.<br />

Das hat er erkannt und auch ausdrücklich anerkannt, in<strong>de</strong>m er es zur Sprache brachte: Das,<br />

was sie singt, ist heilig und am schönsten.<br />

dass Diotimas Grab mir nah ist.<br />

Hörst du? hörst du? Diotimas Grab!<br />

Mein Herz war doch so stille gewor<strong>de</strong>n, und meine Liebe war begraben mit <strong>de</strong>r Toten, <strong>die</strong> ich liebte.<br />

Du weißt, mein Bellarmin! ich schrieb dir lange nicht von ihr, und da ich schrieb, so schrieb ich dir gelassen,<br />

wie ich meine.<br />

Was ist’s <strong>de</strong>nn nun? (Schmidt, 1994: 70)<br />

Da Hyperion mit Bellarmin nicht spricht, son<strong>de</strong>rn ihm schreibt, wird präsupponiert, dass Bellarmin<br />

ihn nicht hören kann. Deswegen wird impliziert, dass das Verb „hören“ hier für 'empfangen'<br />

o<strong>de</strong>r 'verstehen' steht. Die Wie<strong>de</strong>rholung präsupponiert, dass <strong>de</strong>r Sen<strong>de</strong>r sich versichern will,<br />

dass <strong>die</strong> Botschaft tatsächlich empfangen wur<strong>de</strong>. Die Wie<strong>de</strong>rholung ist ein universelles Mittel<br />

zur Hervorhebung <strong>de</strong>s Gesagten. Die Hervorhebung präsupponiert, dass <strong>de</strong>r Fragen<strong>de</strong> sicherstellen<br />

will, dass er nun wirklich empfangen und verstan<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>. Dies kann auch nicht so gemeint<br />

sein, weil Bellarmin zweifellos <strong>de</strong>n Brief lesen und verstehen kann. Deswegen wird impliziert,<br />

dass Hyperion nicht überprüfen will, ob er verstan<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn ob er richtig verstan<strong>de</strong>n<br />

wur<strong>de</strong>, d.h. ob Bellarmin gemerkt hat, was für weitreichen<strong>de</strong> Konsequenzen <strong>die</strong> Tatsache hat,<br />

dass Diotima ein Grab hat, nämlich, dass sie tot ist. Für Bellarmin war sie nicht tot, solange<br />

Hyperion es ihm nicht zur Sprache gebracht hat und es ihm auf <strong>die</strong>se Weise mitgeteilt hat. Und<br />

für Hyperion ist sie für eine Weile gewissermaßen auch nicht tot, <strong>de</strong>nn er hat entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Anfang seiner Liebesgeschichte erzählt, als sie noch lebte, o<strong>de</strong>r er hat über sie geschwiegen, er<br />

hat <strong>de</strong>n Tod Diotimas verdrängt, in<strong>de</strong>m er gar nichts über sie erzählt hat.<br />

Wir schwiegen eine Weile. Wir ehrten <strong>die</strong> trauren<strong>de</strong> Liebe, <strong>die</strong> in uns allen war, wir fürchteten uns, sich ihrer<br />

zu überheben in Re<strong>de</strong>n und stolzen Gedanken. Endlich nach wenigen flüchtigen Worten bat mich Diotima,<br />

einiges von Agis und Kleomenes zu erzählen; ich hätte <strong>die</strong> großen Seelen oft mit feuriger Achtung<br />

genannt und gesagt, sie wären Halbgötter, so gewiss, wie Prometheus, und ihr Kampf mit <strong>de</strong>m Schicksal<br />

von Sparta sei heroischer, als irgen<strong>de</strong>iner in <strong>de</strong>n glänzen<strong>de</strong>n Mythen. Der Genius <strong>die</strong>ser Menschen sei das<br />

Abendrot <strong>de</strong>s griechischen Tages, wie Theseus und Homer <strong>die</strong> Aurore <strong>de</strong>sselben.<br />

Ich erzählte und am En<strong>de</strong> fühlten wir uns alle stärker und höher. (Schmidt, 1994: 112)<br />

Hyperion, Diotima und ihre Freun<strong>de</strong> ge<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>r bewun<strong>de</strong>rten alten Griechen und ehren sie zuerst<br />

mit Stille, aber dann mit Lobre<strong>de</strong>n, d.h. mit Worten.<br />

Da wir uns ferne waren, rief ich, [...] göttliche Natur! da waren wir immer, wie du, und nun auch da wir<br />

schei<strong>de</strong>n und <strong>die</strong> Freu<strong>de</strong> stirbt, sind wir, wie du, voll Lei<strong>de</strong>ns und doch gut, drum soll ein reiner Mund uns<br />

zeugen, dass unsre Liebe heilig ist und ewig, so wie du.<br />

Ich zeug’ es, sprach <strong>die</strong> Mutter.<br />

Wir zeugen es, riefen <strong>die</strong> an<strong>de</strong>rn. (Schmidt, 1994: 113)<br />

Die ersten feierlichen Worte spricht Hyperion, als er sich von Diotima verabschie<strong>de</strong>t, um in <strong>de</strong>n<br />

Krieg zu ziehen. Der „Mund“ ist hier eine Metonymie für eine Person, <strong>die</strong> spricht. Durch <strong>die</strong>se<br />

Sprache fin<strong>de</strong>t eine Zeremonie statt, <strong>die</strong> ähnlich ist wie eine Verlobung, und <strong>die</strong> Lieben<strong>de</strong>n zur<br />

ewigen Treue vereidigt.<br />

Wer bin ich dann, ihr Lieben, dass ich mein euch nenne, dass ich sagen darf, sie sind mein eigen, dass ich,<br />

wie ein Eroberer, zwischen euch steh’ und euch, wie meine Beute, umfasse.<br />

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