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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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auch <strong>die</strong> wortlose Sprache <strong>de</strong>r Natur impliziert. Hyperion nimmt <strong>de</strong>n Donner akustisch wahr,<br />

aber gleichzeitig vernimmt er auch <strong>die</strong> Botschaft, <strong>die</strong> dabei vermittelt wird.<br />

Was aber eigentlich mir <strong>die</strong> schale Kost <strong>de</strong>s gewöhnlichen Umgangs würzte, das waren <strong>die</strong> guten Gesichter<br />

und Gestalten, <strong>die</strong> noch hie und da <strong>die</strong> mitleidige Natur, wie Sterne, in unsere Verfinsterung sen<strong>de</strong>t.<br />

Wie hatt’ ich meine herzliche Freu<strong>de</strong> daran! wie gläubig <strong>de</strong>utet’ ich <strong>die</strong>se freundlichen Hieroglyphen!<br />

(Schmidt, 1994: 29)<br />

Die „freundlichen Hieroglyphen“ sind <strong>die</strong> guten Gesichter und Gestalten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Natur wie Sterne<br />

sen<strong>de</strong>t, damit Hyperion nicht ganz im Finstern ist. Wenn es einen Sen<strong>de</strong>r (= <strong>die</strong> Natur), eine<br />

Botschaft (= <strong>die</strong> guten Gesichter) und einen Empfänger (= Hyperion) gibt, dann darf man schon<br />

sagen, es gibt eine Sorte Sprache, <strong>die</strong> nicht aus menschlichen Worten besteht.<br />

Mein Herz verschloss jetzt seine Schätze, aber nur, um sie für eine bessere Zeit zu sparen, für das Einzige,<br />

Heilige, Treue, das gewiss, in irgen<strong>de</strong>iner Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Daseins, meiner dürsten<strong>de</strong>n Seele begegnen sollte.<br />

Wie selig hing ich oft an ihm, wenn es, in Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Ahnens, leise, wie das Mondlicht, um <strong>die</strong> besänftigte<br />

Stirne mir spielte? Schon damals kannt’ ich dich, schon damals blicktest du, wie ein Genius, aus Wolken<br />

mich an, du, <strong>die</strong> mir einst, im Frie<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Schönheit, aus <strong>de</strong>r trüben Woge <strong>de</strong>r Welt stieg! Da kämpfte, da<br />

glüht’ es nimmer, <strong>die</strong>s Herz.<br />

Wie in schweigen<strong>de</strong>r Luft sich eine Lilie wiegt, so regte sich in seinem Elemente, in <strong>de</strong>n entzücken<strong>de</strong>n<br />

Träumen von ihr, mein Wesen. (Schmidt, 1994: 31)<br />

Hyperion kommuniziert hier ohne Worte mit <strong>de</strong>m Geist Diotimas, <strong>die</strong> er noch nicht kennengelernt<br />

hat, und vergleicht <strong>die</strong>se Art Verständigung mit <strong>de</strong>m wortlosen Kontakt, <strong>de</strong>n er mit <strong>de</strong>r Natur<br />

(= „Mondlicht“, „Wolken“, „Luft“, „Lilie“) hält. Wortlosigkeit ist <strong>die</strong> übliche Be<strong>de</strong>utung<br />

vom Verb „schweigen“, und auch <strong>die</strong> Nebenbe<strong>de</strong>utung vom Adverb „leise“, <strong>de</strong>ssen Synonyme<br />

u.a. 'lautlos, still, unhörbar' sind.<br />

Wir waren zusammen aufs Feld gegangen, saßen vertraulich umschlungen im Dunkel <strong>de</strong>s immergrünen<br />

Lorbeers, und sahn zusammen in unsern Plato, wo er so wun<strong>de</strong>rbar erhaben vom Altern und Verjüngen<br />

spricht, und ruhten hin und wie<strong>de</strong>r aus auf <strong>de</strong>r stummen entblätterten Landschaft, wo <strong>de</strong>r Himmel schöner,<br />

als je, mit Wolken und Sonnenschein um <strong>die</strong> herbstlich schlafen<strong>de</strong>n Bäume spielte. (Schmidt, 1994: 35 f.)<br />

Alabanda und Hyperion machen einen Ausflug. Diese Landschaft hier ist „stumm“, wahrscheinlich<br />

weil sie entblättert ist und tot aussieht. Diese Stummheit präsupponiert, dass an<strong>de</strong>re Landschaften<br />

manchmal sprechen können, vor allem wenn sie grün und voller Leben sind. Es han<strong>de</strong>lt<br />

sich dann um eine Sprache, <strong>die</strong> nicht aus Wörtern besteht, son<strong>de</strong>rn aus lebendigen Naturerscheinungen.<br />

Da ich einst in heitrer Mitternacht <strong>die</strong> Dioskuren ihm wies, und Alabanda <strong>die</strong> Hand aufs Herz mir legt’ und<br />

sagte: Das sind nur Sterne, Hyperion, nur Buchstaben, womit <strong>de</strong>r Name <strong>de</strong>r Hel<strong>de</strong>nbrü<strong>de</strong>r am Himmel<br />

geschrieben ist; in uns sind sie! lebendig und wahr, mit ihrem Mut und ihrer göttlichen Liebe, und du, du<br />

bist <strong>de</strong>r Göttersohn, und teilst mit <strong>de</strong>inem sterblichen Kastor <strong>de</strong>ine Unsterblichkeit! (Schmidt, 1994: 44)<br />

Die Sterne wer<strong>de</strong>n hier ausdrücklich mit Buchstaben gleichgesetzt, und damit können Namen am<br />

Himmel geschrieben wer<strong>de</strong>n. Das impliziert, dass <strong>die</strong> Natur auch eine Art Sprache besitzt. Alabanda<br />

muss es aber Hyperion erklären. Und <strong>die</strong>s impliziert, dass Hyperion es sonst nicht bemerkt<br />

hätte, was wie<strong>de</strong>rum impliziert, dass <strong>die</strong>se Sprache nicht offensichtlich ist. Sie ist auf alle Fälle<br />

nicht offensichtlich, <strong>de</strong>nn sie ähnelt <strong>de</strong>r menschlichen Sprache nicht: Sie ist nämlich eine wortlose<br />

Sprache.<br />

Was ist’s <strong>de</strong>nn, dass <strong>de</strong>r Mensch so viel will? fragt’ ich oft; was soll <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Unendlichkeit in seiner<br />

Brust? Unendlichkeit? wo ist sie <strong>de</strong>nn? wer hat sie <strong>de</strong>nn vernommen? Mehr will er, als er kann! das möchte<br />

wahr sein! O! das hast du oft genug erfahren. Das ist auch nötig, wie es ist. Das gibt das süße, schwärmeri­<br />

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