die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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Der glühen<strong>de</strong> Sommertag hatte jetzt alles in <strong>die</strong> dunkeln Schatten gescheucht. Auch um Diotimas Haus war<br />
alles still und leer, und <strong>die</strong> neidischen Vorhänge stan<strong>de</strong>n mir an allen Fenstern im Wege.<br />
Ich lebt’ in Gedanken an sie. Wo bist du, dacht’ ich, wo fin<strong>de</strong>t mein einsamer Geist dich, süßes Mädchen?<br />
Siehest du vor dich hin und sinnest? Hast du <strong>die</strong> Arbeit auf <strong>die</strong> Seite gelegt und stützest <strong>de</strong>n Arm aufs Knie<br />
und auf das Händchen das Haupt und gibst <strong>de</strong>n lieblichen Gedanken dich hin?<br />
[...]<br />
Ich war ja in<strong>de</strong>ssen so oft mit <strong>die</strong>sen Bäumen umgegangen, war vertrauter mit ihnen, ruhiger unter ihnen<br />
gewor<strong>de</strong>n; jetzt ergriff mich eine Gewalt, als trät’ ich in Dianens Schatten, um zu sterben vor <strong>de</strong>r gegenwärtigen<br />
Gottheit.<br />
In<strong>de</strong>ssen ging ich weiter. Mit je<strong>de</strong>m Schritte wurd’ es wun<strong>de</strong>rbarer in mir. Ich hätte fliegen mögen, so trieb<br />
mein Herz mich vorwärts; aber es war, als hätt’ ich Blei an <strong>de</strong>n Sohlen. Die Seele war vorausgeeilt, und<br />
hatte <strong>die</strong> irdischen Glie<strong>de</strong>r verlassen. Ich hörte nicht mehr und vor <strong>de</strong>m Auge dämmerten und schwankten<br />
alle Gestalten. Der Geist war schon bei Diotima; im Morgenlichte spielte <strong>de</strong>r Gipfel <strong>de</strong>s Baums, in<strong>de</strong>s <strong>die</strong><br />
untern Zweige noch <strong>die</strong> kalte Dämmerung fühlten. (Schmidt, 1994: 81 f.)<br />
Hier be<strong>de</strong>utet „hören“ 'einen Wahrnehmungssinn für Akustisches haben'. Das Adverb „ruhig“<br />
be<strong>de</strong>utet hier 'gelassen, friedlich' und hat nichts mit Sprache zu tun. Das Adverb „still“ be<strong>de</strong>utet<br />
'geräuschlos, reglos'<br />
Ach! mein Hyperion! rief jetzt mir eine Stimme entgegen<br />
[...]<br />
O Leben <strong>de</strong>r Liebe! wie warst du an ihr aufgegangen in voller holdseliger Blüte! wie in leichten Schlummer<br />
gesungen von seligen Genien, lag das reizen<strong>de</strong> Köpfchen mir auf <strong>de</strong>r Schulter, lächelte süßen Frie<strong>de</strong>n, und<br />
schlug sein ätherisch Auge nach mir auf in fröhlichem unerfahrenem Staunen, als blickt’ es eben jetzt zum<br />
ersten Male in <strong>die</strong> Welt.<br />
[...]<br />
O meine alten freundlichen Bäume! rief Diotima, als hätte sie sie in langer Zeit nicht gesehn, und das An<strong>de</strong>nken<br />
an ihre vorigen einsamen Tage spielt’ um ihre Freu<strong>de</strong>n, lieblich, wie <strong>die</strong> Schatten um <strong>de</strong>n jungfräulichen<br />
Schnee, wenn er errötet und glüht im freudigen Abendglanze.<br />
Engel <strong>de</strong>s Himmels! rief ich, wer kann dich fassen? wer kann sagen, er habe ganz dich begriffen?<br />
Wun<strong>de</strong>rst du dich, erwi<strong>de</strong>rte sie, dass ich so sehr dir gut bin? Lieber! stolzer Bescheidner! Bin ich <strong>de</strong>nn<br />
auch von <strong>de</strong>nen, <strong>die</strong> nicht glauben können an dich, hab’ ich <strong>de</strong>nn nicht dich ergrün<strong>de</strong>t, hab’ ich <strong>de</strong>n Genius<br />
nicht in seinen Wolken erkannt? Verhülle dich nur und siehe dich selbst nicht; ich will dich hervorbeschwören,<br />
ich will –<br />
Aber er ist ja da, er ist hervorgegangen, wie ein Stern; er hat <strong>die</strong> Hülse durchbrochen und steht, wie ein<br />
Frühling, da (Schmidt, 1994: 82 f.)<br />
Das Substantiv „Stimme“ steht hier metonymisch für eine noch unbekannte Person. Das Verb<br />
„rufen“ leitet <strong>die</strong> direkte Re<strong>de</strong> ein. Kin<strong>de</strong>r bringt man u.a. durch Gesang zum Schlafen. Hier ist<br />
beim „Singen“ nicht von <strong>de</strong>r musikalischen heiligen Sprache <strong>die</strong> Re<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r üblichen<br />
Musik. In <strong>die</strong>sem Fall ist es <strong>die</strong> Liebe Diotimas, und nicht ihre Sprache, <strong>die</strong> Hyperions echte Persönlichkeit<br />
hervorbeschwören soll.<br />
Göttliche! rief ich, sprichst du mit mir?<br />
[...]<br />
Lass mich, rief ich, lass mich <strong>de</strong>in sein<br />
[...]<br />
Aber etwas stiller musst du mir wer<strong>de</strong>n, sagte sie. (Schmidt, 1994: 83)<br />
Die Verben „rufen, sagen“ leiten <strong>die</strong> direkte Re<strong>de</strong> ein.<br />
Du hast auch Recht, du Liebenswürdige! rief ich freudig, sonst erscheinen mir ja <strong>die</strong> Grazien nicht; sonst<br />
seh’ ich ja im Meere <strong>de</strong>r Schönheit seine leisen lieblichen Bewegungen nicht. O ich will es noch lernen,<br />
nichts an dir zu übersehen. Gib mir nur Zeit!<br />
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