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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Wir nannten <strong>die</strong> Er<strong>de</strong> eine <strong>de</strong>r Blumen <strong>de</strong>s Himmels, und <strong>de</strong>n Himmel nannten wir <strong>de</strong>n unendlichen Garten<br />

<strong>de</strong>s Lebens. Wie <strong>die</strong> Rosen sich mit goldnen Stäubchen erfreuen, sagten wir, so erfreue das hel<strong>de</strong>nmütige<br />

Sonnenlicht mit seinen Strahlen <strong>die</strong> Er<strong>de</strong>; sie sei ein herrlich lebend Wesen, sagten wir, gleich göttlich,<br />

wenn ihr zürnend Feuer o<strong>de</strong>r mil<strong>de</strong>s klares Wasser aus <strong>de</strong>m Herzen quille, immer glücklich, wenn sie von<br />

Tautropfen sich nähre, o<strong>de</strong>r von Gewitterwolken, <strong>die</strong> sie sich zum Genusse bereite mit Hilfe <strong>de</strong>s Himmels,<br />

<strong>die</strong> immer treuer lieben<strong>de</strong> Hälfte <strong>de</strong>s Sonnengotts, ursprünglich vielleicht inniger mit ihm vereint, dann<br />

aber durch ein allwaltend Schicksal geschie<strong>de</strong>n von ihm, damit sie ihn suche, sich nähere, sich entferne und<br />

unter Lust und Trauer zur höchsten Schönheit reife.<br />

So sprachen wir. Ich gebe dir <strong>de</strong>n Inhalt, <strong>de</strong>n Geist davon. (Schmidt, 1994: 63)<br />

Der „Überfluss <strong>de</strong>s Herzens“ ist hier ein Bildnis für überwältigen<strong>de</strong> Gefühle. Hyperion und Diotima<br />

fühlten sich dadurch erleichtert, dass sie ihre Liebe zur Natur fühlten und beson<strong>de</strong>rs dadurch,<br />

dass sie <strong>die</strong>se Liebe durch Sprache ausdrückten.<br />

Sie schien immer so wenig zu sagen, und sagte so viel.<br />

Ich geleitete sie einst in später Dämmerung nach Hause; wie Träume, beschlichen tauen<strong>de</strong> Wölkchen <strong>die</strong><br />

Wiese, wie lauschen<strong>de</strong> Genien, sahn <strong>die</strong> seligen Sterne durch <strong>die</strong> Zweige.<br />

Man hörte selten ein ›wie schön!‹ aus ihrem Mun<strong>de</strong>, wenn schon das fromme Herz kein lispelnd Blatt, kein<br />

Rieseln einer Quelle unbehorcht ließ.<br />

Diesmal sprach sie es <strong>de</strong>nn doch mir aus – wie schön! (Schmidt, 1994: 66 f.)<br />

Obwohl Diotima normalerweise schweigsam war, hielt sie sich <strong>die</strong>smal nicht zurück und teilte<br />

Hyperion ihre Begeisterung mit. Es ist anzunehmen, dass sie <strong>die</strong> Ausnahme machte, weil ihre<br />

Gefühle beson<strong>de</strong>rs stark waren.<br />

Da Harmodius und Aristogiton lebten, rief endlich einer, da war noch Freundschaft in <strong>de</strong>r Welt. Das freute<br />

mich zu sehr, als dass ich hätte schweigen mögen.<br />

Man sollte dir eine Krone flechten um <strong>die</strong>ses Wortes willen! rief ich ihm zu (Schmidt, 1994: 72)<br />

Hyperion spricht mit seinen Freun<strong>de</strong>n über Freundschaft. Das Substantiv „Wort“ be<strong>de</strong>utet hier so<br />

viel wie 'Satz'.<br />

Ich hatte keine Ruhe, ich flehte wie<strong>de</strong>r, mit Ungestüm und Demut, zärtlich und zürnend, mit ihrer ganzen<br />

allmächtigen bescheidnen Beredsamkeit rüstete <strong>die</strong> Liebe mich aus und nun – o meine Diotima! nun hatt’<br />

ich es, das reizen<strong>de</strong> Bekenntnis, nun hab’ ich und halt’ es, bis auch mich, mit allem, was an mir ist, in <strong>die</strong><br />

alte Heimat, in <strong>de</strong>n Schoß <strong>de</strong>r Natur <strong>die</strong> Woge <strong>de</strong>r Liebe zurückbringt. (Schmidt, 1994: 86)<br />

Hyperions allmächtige Liebe machte ihn beredt, heißt es hier. Das Substantiv „Ruhe“ be<strong>de</strong>utet<br />

hier 'Seelenfrie<strong>de</strong>n', aber auch 'Stille', <strong>de</strong>nn wenn er Ruhe gehabt hätte und seelenruhig gewesen<br />

wäre, hätte er nicht gefleht und nicht beredt gesprochen.<br />

Es war <strong>de</strong>r schönste Mittag, <strong>de</strong>n ich kenne. Süße Lüfte wehten und in morgendlicher Frische glänzte noch<br />

das Land und still in seinem heimatlichen Äther lächelte das Licht. Die Menschen waren weggegangen, am<br />

häuslichen Tische von <strong>de</strong>r Arbeit zu ruhn; allein war meine Liebe mit <strong>de</strong>m Frühling, und ein unbegreiflich<br />

Sehnen war in mir. Diotima, rief ich, wo bist du, o wo bist du? Und mir war, als hört’ ich Diotimas Stimme,<br />

<strong>die</strong> Stimme, <strong>die</strong> mich einst erheitert in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> –<br />

Bei <strong>de</strong>n Meinen, rief sie, bin ich, bei <strong>de</strong>n Deinen, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r irre Menschengeist misskennt!<br />

Ein sanfter Schrecken ergriff mich und mein Denken entschlummerte in mir.<br />

O liebes Wort aus heilgem Mun<strong>de</strong>, rief ich, da ich wie<strong>de</strong>r erwacht war, liebes Rätsel, fass’ ich dich?<br />

Und Einmal sah ich noch in <strong>die</strong> kalte Nacht <strong>de</strong>r Menschen zurück und schauert’ und weinte vor Freu<strong>de</strong>n,<br />

dass ich so selig war und Worte sprach ich, wie mir dünkt, aber sie waren, wie <strong>de</strong>s Feuers Rauschen, wenn<br />

es auffliegt und <strong>die</strong> Asche hinter sich lässt – (Schmidt, 1994: 173 f.)<br />

Diotima ist tot. Hyperion ist alleine und kann nur mitten in <strong>de</strong>r Natur seinen Frie<strong>de</strong>n fin<strong>de</strong>n. Seine<br />

große Gefühlsregung bringt ihn dazu, eine Stimme hören zu glauben, <strong>die</strong> es eigentlich nicht<br />

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