die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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saßen. Sowohl <strong>die</strong> Schüler als auch <strong>die</strong> Naturgottheit hören <strong>die</strong>sen Gesprächen zu, und das präsupponiert,<br />
dass sie zumin<strong>de</strong>st passiv daran teilnehmen. Ein Gespräch, bei <strong>de</strong>m <strong>die</strong> Menschen<br />
über höchst Wesentliches sprechen und außer<strong>de</strong>m in Verbindung mit <strong>de</strong>n Göttern kommen, darf<br />
bei Höl<strong>de</strong>rlin durchaus als heilig gelten.<br />
Oft wer<strong>de</strong>n wir in heiterer Nacht im Schatten unsers Obstwalds wan<strong>de</strong>ln und <strong>de</strong>n Gott in uns, <strong>de</strong>n lieben<strong>de</strong>n,<br />
belauschen, in<strong>de</strong>s <strong>die</strong> Pflanze aus <strong>de</strong>m Mittagsschlummer ihr gesunken Haupt erhebt und <strong>de</strong>iner Blumen<br />
stilles Leben sich erfrischt<br />
[...]<br />
Liebe! wenn sich dann, in<strong>de</strong>s wir so <strong>die</strong> Morgenwonne feiern, <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> geschäftig Leben, wie ein Opferbrand,<br />
vor unsern Augen entzün<strong>de</strong>t, und wir nun hingehn, um auch unser Tagwerk, um von uns auch einen<br />
Teil in <strong>die</strong> steigen<strong>de</strong> Flamme zu werfen, wirst du da nicht sagen, wir sind glücklich, wir sind wie<strong>de</strong>r, wie<br />
<strong>die</strong> alten Priester <strong>de</strong>r Natur, <strong>die</strong> heiligen und frohen, <strong>die</strong> schon fromm gewesen, eh ein Tempel stand.<br />
(Schmidt, 1994: 147)<br />
Dies schreibt Hyperion an Diotima, als er nach <strong>de</strong>m Krieg mit ihr in <strong>die</strong> Berge entfliehen will. Er<br />
hat vor, Kontakt mit <strong>de</strong>m Gott in sich selbst, in Diotima und in <strong>de</strong>r Natur aufzunehmen. Hyperion<br />
schlägt Diotima vor, in <strong>die</strong> Berge zu fliehen, dort im Einklang mit <strong>de</strong>r Natur zu leben, in alltäglichem<br />
und engem Kontakt mit ihrer Göttlichkeit, so wie <strong>die</strong> alten Priester <strong>de</strong>r Natur, <strong>die</strong> keinen<br />
Tempel brauchten, weil sie schon <strong>die</strong> ganze Er<strong>de</strong> hatten.<br />
Ich saß mit Alabanda auf einem Hügel <strong>de</strong>r Gegend, in lieblich wärmen<strong>de</strong>r Sonn’, und um uns spielte <strong>de</strong>r<br />
Wind mit abgefallenem Laube. Das Land war stumm; nur hie und da ertönt’ im Wald ein stürzen<strong>de</strong>r<br />
Baum, vom Landmann gefällt, und neben uns murmelte <strong>de</strong>r vergängliche Regenbach hinab ins ruhige<br />
Meer. (Schmidt, 1994: 148)<br />
Das Adverb „stumm“ präsupponiert ein Subjekt, ein Wesen, das normalerweise sprechen kann.<br />
Dadurch wird das Land und somit <strong>die</strong> Natur personifiziert. Dasselbe gilt für <strong>de</strong>n spielen<strong>de</strong>n<br />
Wind, <strong>de</strong>n ertönen<strong>de</strong>n Baum und <strong>de</strong>n murmeln<strong>de</strong>n Regenbach. Nur das Verb „spielen“ gehört<br />
nicht zum Prototyp <strong>de</strong>r Sprache, aber es präsupponiert Absicht, <strong>die</strong> im Prinzip nur einem Menschen<br />
zugeschrieben wer<strong>de</strong>n kann. In <strong>die</strong>sem Kontext ist „ruhig“ synonym für „stumm“, <strong>de</strong>nn,<br />
<strong>die</strong> Stummheit <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s impliziert <strong>die</strong> Stummheit <strong>de</strong>r ganzen Natur. Die einzigen Ausnahmen<br />
wer<strong>de</strong>n ausdrücklich genannt. Das Meer gehört zur Landschaft und zur Natur, und von ihm vernehmen<br />
Hyperion und Alabanda kein Geräusch, son<strong>de</strong>rn Ruhe.<br />
da wankt’ ich nun umher und klagte <strong>de</strong>m Win<strong>de</strong> mein Leid (Schmidt, 1994: 160)<br />
Dies schreibt Diotima an Hyperion im letzten Brief vor ihrem Tod. Das Verb „klagen“ präsupponiert<br />
als Dativergänzung einen Menschen. Deshalb sind <strong>die</strong> „Win<strong>de</strong>“ hier personifiziert, so dass<br />
es möglich ist, dass Diotima mit ihnen kommuniziert.<br />
ich kann kein Volk mir <strong>de</strong>nken, das zerrissner wäre, wie <strong>die</strong> Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine<br />
Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und<br />
gesetzte Leute, aber keine Menschen – ist das nicht, wie ein Schlachtfeld, wo Hän<strong>de</strong> und Arme und alle<br />
Glie<strong>de</strong>r zerstückelt untereinan<strong>de</strong>r liegen, in<strong>de</strong>ssen das vergossne Lebensblut im San<strong>de</strong> zerrinnt? (Schmidt,<br />
1994: 168)<br />
Der Beruf <strong>de</strong>s Priesters wird <strong>de</strong>finiert als <strong>de</strong>r Mittler zwischen Gott und Mensch. Die von Hyperion<br />
kritisierten Deutschen sind Tiere, keine Menschen, und schon <strong>de</strong>swegen vermögen sie nicht,<br />
sich in geistige Dimensionen zu bewegen.<br />
O Bellarmin! wo ein Volk das Schöne liebt, wo es <strong>de</strong>n Genius in seinen Künstlern ehrt, da weht, wie Lebensluft,<br />
ein allgemeiner Geist, da öffnet sich <strong>de</strong>r scheue Sinn, <strong>de</strong>r Eigendünkel schmilzt, und fromm und<br />
groß sind alle Herzen und Hel<strong>de</strong>n gebiert <strong>die</strong> Begeisterung. Die Heimat aller Menschen ist bei solchem<br />
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