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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Ich lebt’ in Gedanken an sie. Wo bist du, dacht’ ich, wo fin<strong>de</strong>t mein einsamer Geist dich, süßes Mädchen?<br />

Siehest du vor dich hin und sinnest? Hast du <strong>die</strong> Arbeit auf <strong>die</strong> Seite gelegt und stützest <strong>de</strong>n Arm aufs Knie<br />

und auf das Händchen das Haupt und gibst <strong>de</strong>n lieblichen Gedanken dich hin?<br />

Dass ja nichts meine Friedliche störe, wenn sie mit süßen Phantasien ihr Herz erfrischt, dass ja nichts <strong>die</strong>se<br />

Traube betaste und <strong>de</strong>n erquicken<strong>de</strong>n Tau von <strong>de</strong>n zarten Beeren ihr streife!<br />

So träumt’ ich. Aber in<strong>de</strong>s <strong>die</strong> Gedanken zwischen <strong>de</strong>n Wän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Hauses nach ihr spähten, suchten <strong>die</strong><br />

Füße sie an<strong>de</strong>rswo, und eh ich es gewahr ward, ging ich unter <strong>de</strong>n Bogengängen <strong>de</strong>s heiligen Walds, hinter<br />

Diotimas Garten, wo ich sie zum ersten Male hatte gesehn. Was war das? Ich war ja in<strong>de</strong>ssen so oft mit<br />

<strong>die</strong>sen Bäumen umgegangen, war vertrauter mit ihnen, ruhiger+ unter ihnen gewor<strong>de</strong>n; jetzt ergriff mich<br />

eine Gewalt, als trät’ ich in Dianens Schatten, um zu sterben vor <strong>de</strong>r gegenwärtigen Gottheit.<br />

In<strong>de</strong>ssen ging ich weiter. Mit je<strong>de</strong>m Schritte wurd’ es wun<strong>de</strong>rbarer in mir. Ich hätte fliegen mögen, so trieb<br />

mein Herz mich vorwärts; aber es war, als hätt’ ich Blei an <strong>de</strong>n Sohlen. Die Seele war vorausgeeilt, und<br />

hatte <strong>die</strong> irdischen Glie<strong>de</strong>r verlassen. Ich hörte+ nicht mehr und vor <strong>de</strong>m Auge #*82*#dämmerten und<br />

schwankten alle Gestalten. Der Geist war schon bei Diotima; im Morgenlichte spielte <strong>de</strong>r Gipfel <strong>de</strong>s<br />

Baums, in<strong>de</strong>s <strong>die</strong> untern Zweige noch <strong>die</strong> kalte Dämmerung fühlten.<br />

Ach! mein Hyperion! rief+ jetzt mir eine Stimme+ entgegen; ich stürzt’ hinzu; ›meine Diotima! o meine<br />

Diotima!‹ weiter hatt’ ich kein Wort+ und keinen Atem, kein Bewusstsein.<br />

Schwin<strong>de</strong>, schwin<strong>de</strong>, sterbliches Leben, dürftig Geschäft, wo <strong>de</strong>r einsame Geist <strong>die</strong> Pfennige, <strong>die</strong> er<br />

gesammelt, hin und her betrachtet und zählt! wir sind zur Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gottheit alle berufen!<br />

Es ist hier eine Lücke in meinem Dasein. Ich starb, und wie ich erwachte, lag ich am Herzen <strong>de</strong>s<br />

himmlischen Mädchens.<br />

O Leben <strong>de</strong>r Liebe! wie warst du an ihr aufgegangen in voller holdseliger Blüte! wie in leichten Schlummer<br />

gesungen+ von seligen Genien, lag das reizen<strong>de</strong> Köpfchen mir auf <strong>de</strong>r Schulter, lächelte süßen Frie<strong>de</strong>n,<br />

und schlug sein ätherisch Auge nach mir auf in fröhlichem unerfahrenem Staunen, als blickt’ es eben jetzt<br />

zum ersten Male in <strong>die</strong> Welt.<br />

Lange stan<strong>de</strong>n wir so in hol<strong>de</strong>r selbstvergessener Betrachtung, und keines wusste, wie ihm geschah, bis<br />

endlich <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> zu viel in mir sich häufte und in Tränen und Lauten+ <strong>de</strong>s Entzückens auch meine<br />

verlorne Sprache+ wie<strong>de</strong>r begann, und meine stille+ Begeisterte vollends wie<strong>de</strong>r ins Dasein weckte.<br />

Endlich sahn wir uns auch wie<strong>de</strong>r um.<br />

O meine alten freundlichen Bäume! rief+ Diotima, als hätte sie sie in langer Zeit nicht gesehn, und das<br />

An<strong>de</strong>nken an ihre vorigen einsamen Tage spielt’ um ihre Freu<strong>de</strong>n, lieblich, wie <strong>die</strong> Schatten um <strong>de</strong>n<br />

jungfräulichen Schnee, wenn er errötet und glüht im freudigen Abendglanze.<br />

Engel <strong>de</strong>s Himmels! rief+ ich, wer kann dich fassen? wer kann sagen+, er habe ganz dich begriffen?<br />

Wun<strong>de</strong>rst du dich, erwi<strong>de</strong>rte sie, dass ich so sehr dir gut bin? Lieber! stolzer Bescheidner! Bin ich <strong>de</strong>nn<br />

auch von #*83*#<strong>de</strong>nen, <strong>die</strong> nicht glauben können an dich, hab’ ich <strong>de</strong>nn nicht dich ergrün<strong>de</strong>t, hab’ ich <strong>de</strong>n<br />

Genius nicht in seinen Wolken erkannt? Verhülle dich nur und siehe dich selbst nicht; ich will dich<br />

hervorbeschwören+, ich will –<br />

Aber er ist ja da, er ist hervorgegangen, wie ein Stern; er hat <strong>die</strong> Hülse durchbrochen und steht, wie ein<br />

Frühling, da; wie ein Kristallquell aus <strong>de</strong>r düstern Grotte, ist er hervorgegangen; das ist <strong>de</strong>r finstre<br />

Hyperion nicht, das ist <strong>die</strong> wil<strong>de</strong> Trauer nicht mehr – o mein, mein herrlicher Junge!<br />

Das alles war mir, wie ein Traum. Konnt’ ich glauben an <strong>die</strong>s Wun<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Liebe? konnt’ ich? mich hätte<br />

<strong>die</strong> Freu<strong>de</strong> getötet.<br />

Göttliche! rief+ ich, sprichst+ du mit mir? kannst du so dich verleugnen, selige Selbstgenügsame! kannst du<br />

so dich freuen an mir? O ich seh’ es nun, ich weiß nun, was ich oft geahnet, <strong>de</strong>r Mensch ist ein Gewand,<br />

das oft ein Gott sich umwirft, ein Kelch, in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Himmel seinen Nektar gießt, um seinen Kin<strong>de</strong>rn vom<br />

Besten zu kosten zu geben. –<br />

Ja, ja! fiel sie schwärmerisch lächelnd mir ein, <strong>de</strong>in Namensbru<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r herrliche Hyperion <strong>de</strong>s Himmels ist<br />

in dir.<br />

Lass mich, rief+ ich, lass mich <strong>de</strong>in sein, lass mich mein vergessen, lass alles Leben in mir und allen Geist<br />

nur dir zufliegen; nur dir, in seliger en<strong>de</strong>loser Betrachtung! O Diotima! so stand ich sonst auch vor <strong>de</strong>m<br />

dämmern<strong>de</strong>n Götterbil<strong>de</strong>, das meine Liebe sich schuf, vor <strong>de</strong>m Idole meiner einsamen Träume; ich nährt’<br />

es traulich; mit meinem Leben belebt’ ich es, mit <strong>de</strong>n Hoffnungen meines Herzens erfrischt’, erwärmt’ ich<br />

es, aber es gab mir nichts, als was ich gegeben, und wenn ich verarmt war, ließ es mich arm, und nun! nun<br />

hab’ ich im Arme dich, und fühle <strong>de</strong>n Atem <strong>de</strong>iner Brust, und fühle <strong>de</strong>in Aug’ in meinem Auge, <strong>die</strong> schöne<br />

Gegenwart rinnt mir in alle Sinnen herein, und ich halt’ es aus, ich habe das Herrlichste so und bebe nicht<br />

mehr – ja! ich bin wirklich nicht, <strong>de</strong>r ich sonst war, Diotima! ich bin <strong>de</strong>ines gleichen gewor<strong>de</strong>n, und<br />

Göttliches spielt mit Göttlichem jetzt, wie Kin<strong>de</strong>r unter sich spielen. –<br />

Aber etwas stiller+ musst du mir wer<strong>de</strong>n, sagte+ sie.<br />

#*84*#Du hast auch Recht, du Liebenswürdige! rief+ ich freudig, sonst erscheinen mir ja <strong>die</strong> Grazien<br />

nicht; sonst seh’ ich ja im Meere <strong>de</strong>r Schönheit seine leisen+ lieblichen Bewegungen nicht. O ich will es<br />

noch lernen, nichts an dir zu übersehen. Gib mir nur Zeit!<br />

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