die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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Hermann Glaser schreibt über <strong>die</strong> <strong>de</strong>utsche barocke Mystik, <strong>die</strong>se sei eine totale Verschmelzung<br />
mit Gott, eine äußerst gefühlsmäßige, visionäre und daher geheimnisvolle Vereinigung, <strong>die</strong> zumeist<br />
nur chiffriert ange<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n kann, eine Art Traumzustand, <strong>de</strong>r sich mit <strong>de</strong>m Verstand<br />
nicht erklären lässt. Diese Mystik verflicht <strong>die</strong> Gegensätze in eine umfassen<strong>de</strong> Wesenseinheit,<br />
<strong>die</strong> Gott heißt, und geht über <strong>die</strong> Regeln <strong>de</strong>r Vernunft und <strong>de</strong>r Allgemeinverständlichkeit hinaus.<br />
Alle Wi<strong>de</strong>rsprüche wer<strong>de</strong>n in Gott aufgehoben, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Natur gütig lenkt 188 . Beutin merkt an,<br />
dass <strong>die</strong> Verbindung mit Gott in <strong>de</strong>r Seele <strong>de</strong>s Gläubigen stattfin<strong>de</strong>t. Um über Gott zu re<strong>de</strong>n,<br />
muss man immer nach paradoxen Formulierungen greifen 189 . Laut <strong>de</strong>m Lexikon Salvat ist <strong>die</strong><br />
Mystik ein wesentliches Element <strong>de</strong>s Pietismus 190 , in <strong>de</strong>m Höl<strong>de</strong>rlin bekanntlich erzogen wur<strong>de</strong>.<br />
Martini behauptet, dass <strong>die</strong> Mystik zeitlos gültig ist. Sie versucht durch Rhetorik und Symbolik<br />
<strong>die</strong> Erkenntnis zu vermitteln, dass in allem Wesen das Göttliche ist. Die Mystik ist <strong>die</strong> unmittelbare,<br />
tiefste und geheimnisvollste Antwort auf <strong>die</strong> Sehnsucht nach einer Befriedung <strong>de</strong>s quälen<strong>de</strong>n<br />
Zwiespalts zwischen Diesseits und Jenseits, nach <strong>de</strong>r Versöhnung von Gott und Mensch. Sie<br />
gibt eine Erfahrung göttlicher Ewigkeit im eigenen „Seelenfunken“ durch <strong>die</strong> unio mystica. Sie<br />
be<strong>de</strong>utet eine Befreiung zu Gott hin, Erkenntnis und Erschütterung, Einkehr und Beseligung, das<br />
Überwin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s scheinhaftzufälligen Ich und <strong>de</strong>n Aufschwung zum Absoluten, zum göttlichen<br />
Jenseits. Die spekulative und intuitive Erkenntnis auf <strong>de</strong>m Wege tiefsinniger Seelenerfahrung<br />
und weltüberwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Gottesschau führt zur Vereinigung <strong>de</strong>r zum Grenzenlosen verlangen<strong>de</strong>n<br />
Seele mit <strong>de</strong>r Absolutheit Gottes. Die mystische Intuition vermag alles Vielfältige im alleinen<br />
unendlichen Sein zusammenzuschauen. Daraus geht <strong>die</strong> Einsicht hervor, dass das Göttliche und<br />
<strong>die</strong> menschliche Seele innigst verbun<strong>de</strong>n sind. Die Ein und Rückkehr in Gott erfolgt durch <strong>die</strong><br />
Ablösung vom UnfreiGeschöpflichen. Der Mensch kommt durch <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>s zufälligen, egozentrischen<br />
Ich zum wahren Wesen, er erfährt sich selbst im Innersten und vertieft sich durch<br />
Abgeschie<strong>de</strong>nheit und Gelassenheit in <strong>de</strong>n eigenen Seinsgrund. Aber das alles be<strong>de</strong>utet nicht<br />
eine Verneinung <strong>de</strong>r Welt, <strong>de</strong>nn Gott ist in <strong>de</strong>r Welt. Die Welt ruht in Gott, alles Sein wird von<br />
ihm durchlebt. Diese Durchdringung von Gott, Welt und Seele erkennend zu begreifen und zu<br />
verkün<strong>de</strong>n, ist <strong>die</strong> innere Aufgabe <strong>de</strong>s Dichters, <strong>de</strong>r Sinn seiner Mystik 191 .<br />
In seinem schon klassischen und grundlegen<strong>de</strong>n Werk erklärt Johan Huizinga, <strong>die</strong> Mystik wolle<br />
das Unendliche, Unermessliche, Unerschöpfliche, Ewige, Unmittelbare, Unaussprechliche ausdrücken,<br />
sie sei ein gewaltiges Ringen <strong>de</strong>s Geistes, zur vollkommenen Bildlosigkeit – und somit<br />
zur Unaussprechbarkeit – <strong>de</strong>r Gottheit emporzuklimmen. Die Mystik sei in <strong>die</strong>sem unlösbar paradoxen<br />
Streben an keine Kultur und kein Zeitalter gebun<strong>de</strong>n, sie sei überall und allezeit gleich.<br />
Zunächst seien <strong>die</strong> konkreten religiösen Begriffe und Symbole – z.B. <strong>die</strong> Eucharistie, <strong>de</strong>r Heilige<br />
Geist, Christus, und so weiter – als unbrauchbar weggelassen wor<strong>de</strong>n und statt<strong>de</strong>ssen wer<strong>de</strong> auf<br />
<strong>die</strong> Sprache <strong>de</strong>r Natur zurückgegriffen, sowohl im positiven Sinne (das Ganze, das Eine, das<br />
Licht, <strong>die</strong> schwin<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Höhe) als auch im Negativen (<strong>die</strong> Stille, <strong>die</strong> Leere, <strong>die</strong> Wüste, <strong>die</strong> Dunkelheit,<br />
<strong>de</strong>r bo<strong>de</strong>nlose Abgrund). Dann versuche <strong>de</strong>r Mystiker, <strong>die</strong> Mängel <strong>de</strong>r sprachlichen Begriffe<br />
zu beseitigen, in<strong>de</strong>m er sie immer mit <strong>de</strong>m entsprechen<strong>de</strong>n Gegensatz koppele, zu ergänzen<br />
und zu überwin<strong>de</strong>n versuche: Tauler habe geschrieben, „in <strong>die</strong>sem Versinken wird alles<br />
Gleich und Ungleich verloren, [...] <strong>de</strong>nn er ist versunken in Gottes Einheit und hat verloren alles<br />
Unterschei<strong>de</strong>n.“ Schließlich verwerfe <strong>de</strong>r Mystiker alle unzulänglichen sprachlichen Begriffe<br />
und gebe jegliche Vorstellung <strong>de</strong>r Gottheit preis, so dass nur <strong>die</strong> reine Negation übrig bleibe;<br />
Angelus Silesius hat geschrieben: „Gott ist ein lauter Nichts.“ Alle <strong>die</strong>se Phasen – von <strong>de</strong>n All<br />
Ausdrücken und <strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>r Natur über <strong>die</strong> sich gegenseitig aufheben<strong>de</strong>n Gegensätze bis zur<br />
reinen Negation – gebe es nach Huizinga bei <strong>de</strong>n meisten mystischen Aussagen gleichzeitig und<br />
188<br />
Glaser, 1995: 108 ff.<br />
189<br />
Beutin, 1994: 51 u. 103.<br />
190<br />
Salvat Editores, 1967: 2278.<br />
191<br />
Martini, 1991: 91 ff.<br />
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