die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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materiellen Jenseits. In <strong>die</strong>sem i<strong>de</strong>ologischen Kontext besuchen Hyperion und Alabanda <strong>die</strong> Gräber<br />
<strong>de</strong>r altgriechischen Hel<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> sie so sehr verehren. Offenbar hätten sie gerne gewusst, wo<br />
<strong>de</strong>r Achill begraben ist. Das Wort „vielleicht“ präsupponiert, dass sie es nicht wissen. Das Wort<br />
„fragen“ präsupponiert, dass <strong>de</strong>r Fragen<strong>de</strong> eine ihm unbekannte Information herausfin<strong>de</strong>n will,<br />
und dass er sich <strong>die</strong> Lösung durch <strong>die</strong> Antwort erhofft. Da aber <strong>die</strong>se Antwort ausbleibt, weil <strong>die</strong><br />
Gräber „schweigen“, bleiben <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n jungen Männer im Dunkeln. Sie haben versucht, <strong>die</strong><br />
Götter o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st <strong>die</strong> Seelen <strong>de</strong>r Hel<strong>de</strong>n heraufzubeschwören, um mit ihnen zu kommunizieren<br />
und <strong>die</strong>se Information herauszufin<strong>de</strong>n, aber es ist ihnen nicht gelungen, <strong>de</strong>nn das Jenseits<br />
schweigt wie ein Grab und gibt keine Auskunft.<br />
Wohnt doch <strong>die</strong> Stille im Lan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Seligen, und über <strong>de</strong>n Sternen vergisst das Herz seine Not und seine<br />
Sprache.<br />
Ich hab’ es heilig bewahrt! wie ein Palladium, hab’ ich es in mir getragen, das Göttliche, das mir erschien!<br />
und wenn hinfort mich das Schicksal ergreift und von einem Abgrund in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn mich wirft, und alle<br />
Kräfte ertränkt in mir und alle Gedanken, so soll <strong>die</strong>s Einzige doch mich selber überleben in mir, und<br />
leuchten in mir und herrschen, in ewiger, unzerstörbarer Klarheit! –<br />
So lagst du hingegossen, süßes Leben, so blicktest du auf, erhubst dich, standst nun da, in schlanker Fülle,<br />
göttlich ruhig, und das himmlische Gesicht noch voll <strong>de</strong>s heitern Entzückens, worin ich dich störte!<br />
O wer in <strong>die</strong> Stille <strong>die</strong>ses Auges gesehn, wem <strong>die</strong>se süßen Lippen sich aufgeschlossen, wovon mag <strong>de</strong>r<br />
noch sprechen? (Schmidt, 1994: 60)<br />
Hyperion schwärmt von <strong>de</strong>r Schönheit <strong>de</strong>r Natur und von <strong>de</strong>r Erhabenheit Diotimas. Die Seligen,<br />
<strong>de</strong>nen das Göttliche erschienen ist, sind <strong>de</strong>mnach still, weil sie ihre Sprache vergessen haben und<br />
sich auf einer an<strong>de</strong>ren himmlischen Ebene <strong>de</strong>r Entzückung befin<strong>de</strong>n, wo nur Stille herrscht. Das<br />
Wort „Stille“ behält also hier unbedingt seine zwei Be<strong>de</strong>utungen: 'Frie<strong>de</strong>n' und auch 'Sprachlosigkeit',<br />
und „ruhig“ be<strong>de</strong>utet sowohl 'friedlich' als auch 'wortlos'.<br />
Ich ging. So war ich noch niemals von ihr gegangen. O Bellarmin! das war Freu<strong>de</strong>, Stille <strong>de</strong>s Lebens, Götterruhe,<br />
himmlische, wun<strong>de</strong>rbare, unerkennbare Freu<strong>de</strong>.<br />
Worte sind hier umsonst, und wer nach einem Gleichnis von ihr fragt, <strong>de</strong>r hat sie nie erfahren. Das Einzige,<br />
was eine solche Freu<strong>de</strong> auszudrücken vermochte, war Diotimas Gesang, wenn er, in goldner Mitte, zwischen<br />
Höhe und Tiefe schwebte. (Schmidt, 1994: 78)<br />
Offensichtlich sind <strong>die</strong> „Stille“ und <strong>die</strong> „Götterruhe“ synonym für <strong>de</strong>n 'Seelenfrie<strong>de</strong>n', aber <strong>die</strong><br />
Unaussprechbarkeit <strong>die</strong>ses Gefühls wird ebenfalls ange<strong>de</strong>utet, weil <strong>de</strong>r unmittelbar folgen<strong>de</strong><br />
Kontext es audrücklich besagt und weil <strong>die</strong> Doppel<strong>de</strong>utigkeit <strong>die</strong>ser Wörter es auch erlaubt.<br />
Das alles war mir, wie ein Traum. Konnt’ ich glauben an <strong>die</strong>s Wun<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Liebe? konnt’ ich? mich hätte<br />
<strong>die</strong> Freu<strong>de</strong> getötet.<br />
Göttliche! rief ich, sprichst du mit mir? kannst du so dich verleugnen, selige Selbstgenügsame! kannst du<br />
so dich freuen an mir? (Schmidt, 1994: 83)<br />
Diotima ist für Hyperion göttlich. Er hält es für ein Wun<strong>de</strong>r, dass sie ihm <strong>die</strong> Ehre macht, auf ihn<br />
herabzuschauen und zu ihm zu sprechen, <strong>de</strong>nn dadurch verleugnet sie sich theoretisch selbst,<br />
weil Götter und Menschen im Prinzip zu unterschiedlichen Ebenen gehören und eigentlich nicht<br />
miteinan<strong>de</strong>r sprechen könnten.<br />
Ach! es war alles so voll Lust und Hoffnung, rief Diotima, so voll unaufhörlichen Wachstums und doch<br />
auch so mühelos, so selig ruhig, wie ein Kind, das vor sich hin spielt, und nicht weiter <strong>de</strong>nkt.<br />
Daran, rief ich, erkenn’ ich sie, <strong>die</strong> Seele <strong>de</strong>r Natur, an <strong>die</strong>sem stillen Feuer, an <strong>die</strong>sem Zögern in ihrer<br />
mächtigen Eile. (Schmidt, 1994: 105)<br />
Ein Kind, das vor sich hin spielt und nicht weiter <strong>de</strong>nkt, spricht nicht. Die Seele <strong>de</strong>r Natur, <strong>die</strong><br />
stilles Feuer ist, kommuniziert auf keine Weise mit <strong>de</strong>n Menschen. Die Wörter „ruhig“ und<br />
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