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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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gefallen. Die Er<strong>de</strong> verzärtelte, berauschte sie nicht mit Liebkosungen und übergütigen Gaben, wie sonst<br />

wohl hie und da <strong>die</strong> törichte Mutter tut.<br />

Hiezu kam <strong>die</strong> wun<strong>de</strong>rgroße Tat <strong>de</strong>s Theseus, <strong>die</strong> freiwillige Beschränkung seiner eignen königlichen<br />

Gewalt.<br />

O! solch ein Samenkorn in <strong>die</strong> Herzen <strong>de</strong>s Volkes geworfen, muss einen Ozean von goldnen Ähren<br />

erzeugen, und sichtbar wirkt und wuchert es spät noch unter <strong>de</strong>n Athenern.<br />

Also noch einmal! dass <strong>die</strong> Athener so frei von gewaltsamem Einfluss aller Art, so recht bei mittelmäßiger<br />

Kost aufwuchsen, das hat sie so vortrefflich gemacht, und <strong>die</strong>s nur konnt’ es!<br />

Lasst von <strong>de</strong>r Wiege an <strong>de</strong>n Menschen ungestört! treibt aus <strong>de</strong>r eng vereinten Knospe seines Wesens, treibt<br />

aus <strong>de</strong>m Hüttchen seiner Kindheit ihn nicht heraus! tut nicht zu wenig, dass er euch nicht entbehre und so<br />

von ihm euch unterschei<strong>de</strong>, tut nicht zu viel, dass er eure o<strong>de</strong>r seine Gewalt nicht fühle, und so von ihm<br />

euch unterschei<strong>de</strong>, kurz, lasst <strong>de</strong>n Menschen spät erst wissen, dass es Menschen, dass es irgen<strong>de</strong>twas außer<br />

ihm gibt, <strong>de</strong>nn so nur wird er Mensch. Der Mensch ist aber ein Gott, so bald er Mensch ist. Und ist er ein<br />

Gott, so ist er schön.<br />

#*90*#Son<strong>de</strong>rbar! rief +einer von <strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong>n.<br />

Du hast noch nie so tief aus meiner Seele gesprochen+, rief+ Diotima.<br />

Ich hab es von dir, erwi<strong>de</strong>rt’ ich.<br />

So war <strong>de</strong>r Athener ein Mensch, fuhr ich fort, so musst’ er es wer<strong>de</strong>n. Schön kam er aus <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Natur, schön, an Leib und Seele, wie man zu sagen+ pflegt.<br />

Das erste Kind <strong>de</strong>r menschlichen, <strong>de</strong>r göttlichen Schönheit ist <strong>die</strong> Kunst+. In ihr verjüngt und wie<strong>de</strong>rholt<br />

<strong>de</strong>r göttliche Mensch sich selbst. Er will sich selber fühlen, darum stellt er seine Schönheit gegenüber sich.<br />

So gab <strong>de</strong>r Mensch sich seine Götter. Denn im Anfang war <strong>de</strong>r Mensch und seine Götter Eins, da, sich<br />

selber unbekannt, <strong>die</strong> ewige Schönheit war. – Ich spreche+ Mysterien, aber sie sind. –<br />

Das erste Kind <strong>de</strong>r göttlichen Schönheit ist <strong>die</strong> Kunst+. So war es bei <strong>de</strong>n Athenern.<br />

Der Schönheit zweite Tochter ist Religion. Religion ist Liebe <strong>de</strong>r Schönheit. Der Weise liebt sie selbst, <strong>die</strong><br />

Unendliche, <strong>die</strong> Allumfassen<strong>de</strong>; das Volk liebt ihre Kin<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> Götter, <strong>die</strong> in mannigfaltigen Gestalten ihm<br />

erscheinen. Auch so war’s bei <strong>de</strong>n Athenern. Und ohne solche Liebe <strong>de</strong>r Schönheit, ohne solche Religion<br />

ist je<strong>de</strong>r Staat ein dürr Gerippe ohne Leben und Geist, und alles Denken und Tun ein Baum ohne Gipfel,<br />

eine Säule, wovon <strong>die</strong> Krone herabgeschlagen ist.<br />

Dass aber wirklich <strong>die</strong>s <strong>de</strong>r Fall war bei <strong>de</strong>n Griechen und beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n Athenern, dass ihre Kunst+ und<br />

ihre Religion <strong>die</strong> echten Kin<strong>de</strong>r ewiger Schönheit – vollen<strong>de</strong>ter Menschennatur – sind, und nur hervorgehn<br />

konnten aus vollen<strong>de</strong>ter Menschennatur, das zeigt sich <strong>de</strong>utlich, wenn man nur <strong>die</strong> Gegenstän<strong>de</strong> ihrer<br />

heiligen Kunst+, und <strong>die</strong> Religion mit unbefangenem Auge sehn will, womit sie jene Gegenstän<strong>de</strong> liebten<br />

und ehrten.<br />

Mängel und Misstritte gibt es überall und so auch hier. Aber das ist sicher, dass man in <strong>de</strong>n Gegenstän<strong>de</strong>n<br />

ihrer Kunst+ doch meist <strong>de</strong>n reifen Menschen fin<strong>de</strong>t. Da ist nicht #*91*#das Kleinliche, nicht das<br />

Ungeheure <strong>de</strong>r Ägyptier und Goten, da ist Menschensinn und Menschengestalt. Sie schweifen weniger als<br />

andre, zu <strong>de</strong>n Extremen <strong>de</strong>s Übersinnlichen und <strong>de</strong>s Sinnlichen aus. In <strong>de</strong>r schönen Mitte <strong>de</strong>r Menschheit<br />

bleiben ihre Götter mehr, <strong>de</strong>nn andre.<br />

Und wie <strong>de</strong>r Gegenstand, so auch <strong>die</strong> Liebe. Nicht zu knechtisch und nicht gar zu sehr vertraulich! –<br />

Aus <strong>de</strong>r Geistesschönheit <strong>de</strong>r Athener folgte <strong>de</strong>nn auch <strong>de</strong>r nötige Sinn für Freiheit.<br />

Der Ägyptier trägt ohne Schmerz <strong>die</strong> Despotie <strong>de</strong>r Willkür, <strong>de</strong>r Sohn <strong>de</strong>s Nor<strong>de</strong>ns ohne Wi<strong>de</strong>rwillen <strong>die</strong><br />

Gesetzes<strong>de</strong>spotie, <strong>die</strong> Ungerechtigkeit in Rechtsform; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Ägyptier hat von Mutterleib an einen<br />

Huldigungs­ und Vergötterungstrieb; im Nor<strong>de</strong>n glaubt man an das reine freie Leben <strong>de</strong>r Natur zu wenig,<br />

um nicht mit Aberglauben am Gesetzlichen zu hängen.<br />

Der Athener kann <strong>die</strong> Willkür nicht ertragen, weil seine göttliche Natur nicht will gestört sein, er kann<br />

Gesetzlichkeit nicht überall ertragen, weil er ihrer nicht überall bedarf. Drako taugt für ihn nicht. Er will<br />

zart behan<strong>de</strong>lt sein, und tut auch recht daran.<br />

Gut! unterbrach mich einer, das begreif’ ich, aber, wie <strong>die</strong>s dichterische+ religiöse Volk nun auch ein<br />

philosophisch Volk sein soll, das seh’ ich nicht.<br />

Sie wären sogar, sagt’+ ich, ohne Dichtung+ nie ein philosophisch Volk gewesen!<br />

Was hat <strong>die</strong> Philosophie, erwi<strong>de</strong>rt’ er, was hat <strong>die</strong> kalte Erhabenheit <strong>die</strong>ser Wissenschaft mit Dichtung+ zu<br />

tun?<br />

Die Dichtung+, sagt’+ ich, meiner Sache gewiss, ist <strong>de</strong>r Anfang und das En<strong>de</strong> <strong>die</strong>ser Wissenschaft. Wie<br />

Minerva aus Jupiters Haupt, entspringt sie aus <strong>de</strong>r Dichtung+ eines unendlichen göttlichen Seins. Und so<br />

läuft am End’ auch wie<strong>de</strong>r in ihr das Unvereinbare in <strong>de</strong>r geheimnisvollen Quelle <strong>de</strong>r Dichtung+<br />

zusammen.<br />

Das ist ein paradoxer Mensch, rief+ Diotima, jedoch ich ahn’ ihn. Aber ihr schweift mir aus. Von Athen ist<br />

<strong>die</strong> Re<strong>de</strong>+.<br />

Der Mensch, begann ich wie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r nicht wenigstens im #*92*#Leben Einmal volle lautre Schönheit in<br />

sich fühlte, wenn in ihm <strong>die</strong> Kräfte seines Wesens, wie <strong>die</strong> Farben am Irisbogen, ineinan<strong>de</strong>r spielten, <strong>de</strong>r<br />

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