22.11.2013 Aufrufe

die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Mittlere Fassung <strong>de</strong>s Gedichts. Vgl. oben <strong>die</strong> Bemerkung zur älteren Fassung, <strong>die</strong> hier i<strong>de</strong>ntisch<br />

ist.<br />

Da ich noch in Kin<strong>de</strong>rträumen,<br />

friedlich, wie <strong>de</strong>r blaue Tag,<br />

unter meines Gartens Bäumen<br />

auf <strong>de</strong>r warmen Er<strong>de</strong> lag,<br />

und in leiser Lust und Schöne<br />

meines Herzens Mai begann,<br />

säuselte, wie Zephirstöne,<br />

Diotimas Geist mich an. (Schmidt, 1992: 176)<br />

Mittlere Fassung <strong>de</strong>s Gedichts. Der Dichter war noch unentwickelt wie ein Kind und lebte noch<br />

im vollen Einklang mit <strong>de</strong>r Natur. Diotima kannte er damals noch nicht, aber ihr Geist sprach<br />

schon in einer wortlosen Sprache zu ihm, welche so wie <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Natur ist, und setzte sich mit ihm<br />

in Kontakt. Diese tiefe Verbindung zwischen zwei Menschen ist <strong>die</strong> heilige Sprache, <strong>die</strong> mit <strong>de</strong>n<br />

Zephirstönen verglichen wird. Höl<strong>de</strong>rlin benutzt sehr oft das Wort „Ton“ mit musikalischer Be<strong>de</strong>utung,<br />

und hier ist <strong>die</strong>se Nebenbe<strong>de</strong>utung zwar nicht völlig ein<strong>de</strong>utig, aber auch nicht auszuschließen.<br />

Diotima! edles Leben!<br />

Schwester, heilig mir verwandt!<br />

Eh ich dir <strong>die</strong> Hand gegeben,<br />

hab’ ich ferne dich gekannt.<br />

Damals schon, da ich in Träumen,<br />

mir entlockt vom heitren Tag,<br />

unter meines Gartens Bäumen,<br />

ein zufriedner Knabe lag,<br />

da in leiser Lust und Schöne<br />

meiner Seele Mai begann,<br />

säuselte, wie Zephirstöne,<br />

Göttliche! <strong>de</strong>in Geist mich an. (Schmidt, 1992: 179)<br />

Jüngere Fassung <strong>de</strong>s Gedichts. Der Dichter war damals ein in Träumen versunkener Knabe, <strong>de</strong>r<br />

anfing, erwachsen zu wer<strong>de</strong>n, als er das Ansäuseln von Diotimas Geist empfing. Diese in heiliger<br />

Sprache verschlüsselte Botschaft wird mit <strong>de</strong>n Zephirstönen verglichen. Höl<strong>de</strong>rlin verwen<strong>de</strong>t<br />

das Wort „Ton“ häufig mit musikalischer Be<strong>de</strong>utung. Bei <strong>die</strong>sem Zitat kann man nicht sicher<br />

sein, ob es <strong>die</strong>smal <strong>de</strong>r Fall ist, aber man kann es auch nicht ausschließen. Wenn es <strong>die</strong>se Be<strong>de</strong>utung<br />

hat, dann ist hier von einer heiligen Sprache <strong>die</strong> Re<strong>de</strong>, <strong>die</strong> wie <strong>die</strong> Musik ist.<br />

Dich lieb’ ich, Er<strong>de</strong>! trauerst du doch mit mir!<br />

Und unsre Trauer wan<strong>de</strong>lt, wie Kin<strong>de</strong>rschmerz,<br />

in Schlummer sich, und wie <strong>die</strong> Win<strong>de</strong><br />

flattern und flüstern im Saitenspiele,<br />

bis ihm <strong>de</strong>s Meisters Finger <strong>de</strong>n schönern Ton<br />

entlockt, so spielen Nebel und Träum’ um uns,<br />

bis <strong>de</strong>r Geliebte wie<strong>de</strong>rkommt und<br />

Leben und Geist sich in uns entzün<strong>de</strong>t. (Schmidt, 1992: 203)<br />

Der Dichter und <strong>die</strong> Er<strong>de</strong> sehnen sich nach <strong>de</strong>m geliebten Sonnengott. Das Verb „flüstern“ präsupponiert<br />

als Subjekt einen Menschen o<strong>de</strong>r ein Wesen, das sprachfähig ist. Folglich wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong><br />

Win<strong>de</strong> vermenschlicht. Und <strong>de</strong>r Dichter spricht <strong>die</strong> Er<strong>de</strong> direkt an. Die Sprache, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Dichter<br />

mit <strong>de</strong>r Natur verbin<strong>de</strong>t, wird ausdrücklich mit <strong>de</strong>r Musik verglichen.<br />

219

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!