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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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#*61*#Ist <strong>de</strong>r Mensch nicht veraltert, verwelkt, ist er nicht, wie ein abgefallen Blatt, das seinen Stamm<br />

nicht wie<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>t und nun umhergescheucht wird von <strong>de</strong>n Win<strong>de</strong>n, bis es <strong>de</strong>r Sand begräbt?<br />

Und <strong>de</strong>nnoch kehrt sein Frühling wie<strong>de</strong>r!<br />

Weint nicht, wenn das Trefflichste verblüht! bald wird es sich verjüngen! Trauert nicht, wenn eures<br />

Herzens Melo<strong>die</strong>+ verstummt+! bald fin<strong>de</strong>t eine Hand sich wie<strong>de</strong>r, es zu stimmen!<br />

Wie war <strong>de</strong>nn ich? war ich nicht wie ein zerrissen Saitenspiel+? Ein wenig tönt’+ ich noch, aber es waren<br />

To<strong>de</strong>stöne+. Ich hatte mir ein düster Schwanenlied+ gesungen+! Einen Sterbekranz hätt’ ich gern mir<br />

gewun<strong>de</strong>n, aber ich hatte nur Winterblumen.<br />

Und wo war sie <strong>de</strong>nn nun, <strong>die</strong> Totenstille+, <strong>die</strong> Nacht und Ö<strong>de</strong> meines Lebens? <strong>die</strong> ganze dürftige<br />

Sterblichkeit?<br />

Freilich ist das Leben arm und einsam. Wir wohnen hier unten, wie <strong>de</strong>r Diamant im Schacht. Wir fragen+<br />

umsonst, wie wir herabgekommen, um wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Weg hinauf zu fin<strong>de</strong>n.<br />

Wir sind, wie Feuer, das im dürren Aste o<strong>de</strong>r im Kiesel schläft; und ringen und suchen in je<strong>de</strong>m Moment<br />

das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r engen Gefangenschaft. Aber sie kommen, sie wägen Aeonen <strong>de</strong>s Kampfes auf, <strong>die</strong><br />

Augenblicke <strong>de</strong>r Befreiung, wo das Göttliche <strong>de</strong>n Kerker sprengt, wo <strong>die</strong> Flamme vom Holze sich löst und<br />

siegend emporwallt über <strong>de</strong>r Asche, ha! wo uns ist, als kehrte <strong>de</strong>r entfesselte Geist, vergessen <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>r Knechtsgestalt, im Triumphe zurück in <strong>die</strong> Hallen <strong>de</strong>r Sonne.<br />

HYPERION AN BELLARMIN<br />

Ich war einst glücklich, Bellarmin! Bin ich es nicht noch? Wär’ ich es nicht, wenn auch <strong>de</strong>r heilige<br />

Moment, wo ich zum ersten Male sie sah, <strong>de</strong>r letzte wäre gewesen?<br />

Ich hab’ es Einmal gesehn, das Einzige, das meine Seele #*62*#suchte, und <strong>die</strong> Vollendung, <strong>die</strong> wir über<br />

<strong>die</strong> Sterne hinauf entfernen, <strong>die</strong> wir hinausschieben bis ans En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeit, <strong>die</strong> hab’ ich gegenwärtig gefühlt.<br />

Es war da, das Höchste, in <strong>die</strong>sem Kreise <strong>de</strong>r Menschennatur und <strong>de</strong>r Dinge war es da!<br />

Ich frage+ nicht mehr, wo es sei; es war in <strong>de</strong>r Welt, es kann wie<strong>de</strong>rkehren in ihr, es ist jetzt nur verborgner<br />

in ihr. Ich frage+ nicht mehr, was es sei; ich hab’ es gesehn, ich hab’ es kennen gelernt.<br />

O ihr, <strong>die</strong> ihr das Höchste und Beste sucht, in <strong>de</strong>r Tiefe <strong>de</strong>s Wissens, im Getümmel <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns, im<br />

Dunkel <strong>de</strong>r Vergangenheit, im Labyrinthe <strong>de</strong>r Zukunft, in <strong>de</strong>n Gräbern o<strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n Sternen! wisst ihr<br />

seinen Namen+? <strong>de</strong>n Namen+ <strong>de</strong>s, das Eins ist und Alles?<br />

Sein Name+ ist Schönheit.<br />

Wusstet ihr, was ihr wolltet? Noch weiß ich es nicht, doch ahn’ ich es, <strong>de</strong>r neuen Gottheit neues Reich, und<br />

eil’ ihm zu und ergreife <strong>die</strong> an<strong>de</strong>rn und führe sie mit mir, wie <strong>de</strong>r Strom <strong>die</strong> Ströme in <strong>de</strong>n Ozean.<br />

Und du, du hast mir <strong>de</strong>n Weg gewiesen+! Mit dir begann ich. Sie sind <strong>de</strong>r Worte+ nicht wert, <strong>die</strong> Tage, da<br />

ich noch dich nicht kannte –<br />

O Diotima, Diotima, himmlisches Wesen!<br />

HYPERION AN BELLARMIN<br />

Lass uns vergessen, dass es eine Zeit gibt und zähle <strong>die</strong> Lebenstage nicht!<br />

Was sind Jahrhun<strong>de</strong>rte gegen <strong>de</strong>n Augenblick, wo zwei Wesen so sich ahnen und nahn?<br />

Noch seh’ ich <strong>de</strong>n Abend, an <strong>de</strong>m Notara zum ersten Male zu ihr ins Haus mich brachte.<br />

Sie wohnte nur einige hun<strong>de</strong>rt Schritte von uns am Fuße <strong>de</strong>s Bergs.<br />

Ihre Mutter war ein <strong>de</strong>nkend zärtlich Wesen, ein schlichter fröhlicher Junge <strong>de</strong>r Bru<strong>de</strong>r, und bei<strong>de</strong><br />

gestan<strong>de</strong>n herzlich in allem Tun und Lassen, dass Diotima <strong>die</strong> Königin <strong>de</strong>s Hauses war.<br />

#*63*#Ach! es war alles geheiliget, verschönert durch ihre Gegenwart. Wohin ich sah, was ich berührte,<br />

ihr Fußteppich, ihr Polster, ihr Tischchen, alles war in geheimem Bun<strong>de</strong> mit ihr. Und da sie zum ersten<br />

Male mit Namen+ mich rief+, da sie selbst so nahe mir kam, dass ihr unschuldiger Atem mein lauschend+<br />

Wesen berührte! –<br />

Wir sprachen+ sehr wenig zusammen. Man schämt sich seiner Sprache+. Zum Tone+ möchte man wer<strong>de</strong>n<br />

und sich vereinen in Einen Himmelsgesang+.<br />

Wovon auch sollten wir sprechen+? Wir sahn nur uns. Von uns zu sprechen+, scheuten wir uns.<br />

Vom Leben <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> sprachen+ wir endlich.<br />

So feurig und kindlich ist ihr noch keine Hymne+ gesungen+ wor<strong>de</strong>n.<br />

Es tat uns wohl, <strong>de</strong>n Überfluss unsers Herzens <strong>de</strong>r guten Mutter in <strong>de</strong>n Schoß zu streuen. Wir fühlten uns<br />

dadurch erleichtert, wie <strong>die</strong> Bäume, wenn ihnen <strong>de</strong>r Sommerwind <strong>die</strong> fruchtbaren Äste schüttelt, und ihre<br />

süßen Äpfel in das Gras gießt.<br />

Wir nannten+ <strong>die</strong> Er<strong>de</strong> eine <strong>de</strong>r Blumen <strong>de</strong>s Himmels, und <strong>de</strong>n Himmel nannten+ wir <strong>de</strong>n unendlichen<br />

Garten <strong>de</strong>s Lebens. Wie <strong>die</strong> Rosen sich mit goldnen Stäubchen erfreuen, sagten+ wir, so erfreue das<br />

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