die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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Die Verben „sagen, fragen, rufen“ leiten hier <strong>die</strong> direkte Re<strong>de</strong> ein. Das Substantiv „Ruhe“ be<strong>de</strong>utet<br />
hier 'Gelassenheit, Unerschütterlichkeit' und hat somit mit <strong>de</strong>r Sprache nichts zu tun. Das<br />
Verb „ruhen“ be<strong>de</strong>utet hier 'damit aufhören'.<br />
Ich wankte sinnlos weiter, stand nun am Meer und sahe <strong>die</strong> Wellen an – ach! da hinunter strebte mein Herz,<br />
da hinunter, und meine Arme flogen <strong>de</strong>r freien Flut entgegen; aber bald kam, wie vom Himmel, ein sanfterer<br />
Geist über mich, und ordnete mein unbändig lei<strong>de</strong>nd Gemüt mit seinem ruhigen Stabe; ich überdachte<br />
stiller mein Schicksal, meinen Glauben an <strong>die</strong> Welt, meine trostlosen Erfahrungen, ich betrachtete <strong>de</strong>n<br />
Menschen, wie ich ihn empfun<strong>de</strong>n und erkannt von früher Jugend an, in mannigfaltigen Erziehungen, fand<br />
überall dumpfen o<strong>de</strong>r schreien<strong>de</strong>n Misslaut, nur in kindlicher einfältiger Beschränkung fand ich noch <strong>die</strong><br />
reinen Melo<strong>die</strong>n – es ist besser, sagt’ ich mir, zur Biene zu wer<strong>de</strong>n<br />
[...]<br />
Mit einer wun<strong>de</strong>rbaren Ruhe, recht, wie ein Kind, das nichts vom nächsten Augenblicke weiß, lag ich so da<br />
auf meinem Schiffe, und sah <strong>die</strong> Bäume und Moskeen <strong>die</strong>ser Stadt an (Schmidt, 1994: 46)<br />
Hyperion hat sich gera<strong>de</strong> mit Alabanda zerstritten, kommt aber wie<strong>de</strong>r zur Besinnung. Er philosophiert<br />
und merkt, was falsch an <strong>de</strong>n meisten Menschen ist, und was in harmonischer Beziehung<br />
zum Leben ist. Die Adverbien „ruhig“ und „still“ sind hier synonym und be<strong>de</strong>uten 'friedlich,<br />
besonnen'. Das Substantiv „Ruhe“ be<strong>de</strong>utet 'Seelenfrie<strong>de</strong>n'. Das Substantiv „Melo<strong>die</strong>“ ist<br />
eine Metapher für 'harmonische Beziehung mit <strong>de</strong>r Umwelt' und sein Gegenteil ist <strong>de</strong>r „schreien<strong>de</strong><br />
Misslaut“. Die (Un)harmonie <strong>de</strong>r Lebensumstän<strong>de</strong> wird direkt mit <strong>de</strong>r (Un)harmonie <strong>de</strong>r Musik<br />
verglichen, ohne Bezug auf <strong>die</strong> Sprache. Hyperion „sagt“ sich selbst etwas: Dies ist eine übliche<br />
Re<strong>de</strong>wendung, <strong>die</strong> eigentlich meint, er hat es bei sich selbst gedacht, und <strong>de</strong>shalb hat es keinen<br />
wahren sprachlichen Kommunikationsprozess gegeben.<br />
<strong>de</strong>nke, dass es besser ist zu sterben, weil man lebte, als zu leben, weil man nie gelebt! Nei<strong>de</strong> <strong>die</strong> Lei<strong>de</strong>nsfreien<br />
nicht, <strong>die</strong> Götzen von Holz, <strong>de</strong>nen nichts mangelt, weil ihre Seele so arm ist, <strong>die</strong> nichts fragen nach<br />
Regen und Sonnenschein, weil sie nichts haben, was <strong>de</strong>r Pflege bedürfte.<br />
Ja! ja! es ist recht sehr leicht, glücklich, ruhig zu sein mit seichtem Herzen und eingeschränktem Geiste.<br />
Gönnen kann man’s euch; wer ereifert sich <strong>de</strong>nn, dass <strong>die</strong> bretterne Scheibe nicht wehklagt, wenn <strong>de</strong>r Pfeil<br />
sie trifft, und dass <strong>de</strong>r hohle Topf so dumpf klingt, wenn ihn einer an <strong>die</strong> Wand wirft? (Schmidt, 1994: 48)<br />
Das Verb „nach etwas fragen“ ist hier synonym für 'sich nach etwas sehnen'. Das Adverb „ruhig“<br />
hat hier nichts mit <strong>de</strong>r Sprache zu tun, <strong>de</strong>nn es be<strong>de</strong>utet hier einfach 'gelassen, unbesorgt'.<br />
Oft ließ ich sogar mir gefallen, mitzumachen, und wenn ich noch so seelenlos, so ohne eignen Trieb dabei<br />
war, das merkte keiner, da vermisste keiner nichts, und hätt’ ich gesagt, sie möchten mir’s verzeihen, so<br />
wären sie dagestan<strong>de</strong>n und hätten sich verwun<strong>de</strong>rt und gefragt: was hast du <strong>de</strong>nn uns getan? Die Nachsichtigen!<br />
[...]<br />
wohin, mein Herz? sagt’ ich verständig zu mir selber und gehorchte mir.<br />
Was ist’s <strong>de</strong>nn, dass <strong>de</strong>r Mensch so viel will? fragt’ ich oft; was soll <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Unendlichkeit in seiner<br />
Brust? Unendlichkeit? wo ist sie <strong>de</strong>nn? wer hat sie <strong>de</strong>nn vernommen? (Schmidt, 1994: 49)<br />
Hyperion erzählt hier von seinen Kontaktversuchen mit dumpfen Menschen. Die Verben „fragen,<br />
sagen“ leiten hier <strong>die</strong> indirekte bzw. direkte Re<strong>de</strong> ein. Das Verb „fragen“ hat hier <strong>die</strong> Be<strong>de</strong>utung<br />
von 'bei sich <strong>de</strong>nken, sich fragen, sich wun<strong>de</strong>rn, wissen wollen', und hat eigentlich mit<br />
<strong>de</strong>r Sprachauffassung nichts zu tun. Ebenso das Verb „sagen“, weil Hyperion mit sich selbst<br />
spricht. Das Verb „vernehmen“ be<strong>de</strong>utet hier 'spüren'.<br />
So träumt’ ich hin. Geduldig nahm ich nach und nach von allem Abschied. – O ihr Genossen meiner Zeit!<br />
fragt eure Ärzte nicht und nicht <strong>die</strong> Priester, wenn ihr innerlich vergeht! (Schmidt, 1994: 50)<br />
Die „Priester“ sind hier <strong>die</strong> Seelsorger, <strong>die</strong> sich um das seelische Wohl <strong>de</strong>r Gläubigen kümmern.<br />
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