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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Man spricht wohl gerne, man plau<strong>de</strong>rt, wie <strong>die</strong> Vögel, solange <strong>die</strong> Welt, wie Mailuft, einen anweht; aber<br />

zwischen Mittag und Abend kann es an<strong>de</strong>rs wer<strong>de</strong>n, und was ist verloren am En<strong>de</strong>?<br />

Glaube mir und <strong>de</strong>nk, ich sag’s aus tiefer Seele dir: <strong>die</strong> Sprache ist ein großer Überfluss. Das Beste bleibt<br />

doch immer für sich und ruht in seiner Tiefe, wie <strong>die</strong> Perle im Grun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Meers. – Doch was ich eigentlich<br />

dir schreiben wollte, weil doch einmal das Gemäl<strong>de</strong> seinen Rahmen und <strong>de</strong>r Mann sein Tagwerk haben<br />

muss, so will ich noch auf eine Zeitlang Dienste nehmen bei <strong>de</strong>r russischen Flotte; <strong>de</strong>nn mit <strong>de</strong>n Griechen<br />

hab’ ich weiter nichts zu tun. (Schmidt, 1994: 131 f.)<br />

Ausdrücklich behauptet Hyperion in <strong>die</strong>sem Brief an Diotima, dass <strong>die</strong> Sprache unfähig ist, das<br />

Beste zu vermitteln. Das Beste ist etwas Tiefgründiges, das verborgen bleibt, und worauf nur mit<br />

Metaphern <strong>de</strong>r Natur annähernd hinge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n kann. Im Prinzip könnten es <strong>die</strong> tiefen Gefühle<br />

von Hyperions Seele sein, aber das ist hier ausgeschlossen, <strong>de</strong>nn er hat gera<strong>de</strong> geschrieben,<br />

dass er Diotima <strong>die</strong>s aus tiefster Seele sagt, und <strong>die</strong> Kommunikation müsste hierbei mehr o<strong>de</strong>r<br />

weniger gut gelingen, <strong>de</strong>nn Hyperion und Diotima sind meistens durch eine heilige Sprache verbun<strong>de</strong>n.<br />

Die einzige alternative Be<strong>de</strong>utung für „das Beste“, <strong>die</strong> somit übrigbleibt, ist das tiefste<br />

und innigste Geheimnis <strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>s Lebens: das Göttliche. Darüber kann Hyperion selbst<br />

mit Diotima nicht sprechen, und <strong>de</strong>shalb bringt er sich nur mit Mühe zu Worten und kann nur indirekt<br />

darauf hinweisen. Um <strong>die</strong>se tiefgründige Ebene <strong>de</strong>r Sprache noch schärfer zu trennen,<br />

setzt er sie <strong>de</strong>r oberflächlichen Ebene <strong>de</strong>s „Plau<strong>de</strong>rns“ entgegen, bei <strong>de</strong>r man wie <strong>die</strong> Vögel<br />

spricht und nur <strong>die</strong> alltägliche und seichte Lebensfreu<strong>de</strong> ausdrücken kann.<br />

Wir sterben, um zu leben.<br />

Ich wer<strong>de</strong> sein; ich frage nicht, was ich wer<strong>de</strong>. Zu sein, zu leben, das ist genug, das ist <strong>die</strong> Ehre <strong>de</strong>r Götter;<br />

und darum ist sich alles gleich, was nur ein Leben ist, in <strong>de</strong>r göttlichen Welt (Schmidt, 1994: 162)<br />

Dies schreibt Diotima in ihrem Abschiedsbrief an Hyperion. Sie fragt nicht, weil es sinnlos wäre,<br />

weil sie keine genügen<strong>de</strong> Antwort bekommen wür<strong>de</strong>, weil <strong>die</strong> göttlichen Tiefen sich nicht zufrie<strong>de</strong>nstellend<br />

in menschlichen Worten fassen lassen.<br />

O Seele! Seele! Schönheit <strong>de</strong>r Welt! du unzerstörbare! du entzücken<strong>de</strong>! mit <strong>de</strong>iner ewigen Jugend! du bist;<br />

was ist <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Tod und alles Wehe <strong>de</strong>r Menschen? – Ach! viel <strong>de</strong>r leeren Worte haben <strong>die</strong> Wun<strong>de</strong>rlichen<br />

gemacht. Geschiehet doch alles aus Lust, und en<strong>de</strong>t doch alles mit Frie<strong>de</strong>n. (Schmidt, 1994: 174 f.)<br />

Endlich versteht Hyperion <strong>die</strong> tiefste Wahrheit <strong>de</strong>s Lebens, das Geheimnis <strong>de</strong>r Allnatur. Jetzt<br />

merkt er, dass <strong>die</strong> „Wun<strong>de</strong>rlichen“, <strong>die</strong> Menschen, viel zu lange am springen<strong>de</strong>n Punkt vorbeigere<strong>de</strong>t<br />

haben, ohne <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>r Sache zu treffen. Deswegen fin<strong>de</strong>t er all <strong>die</strong>se Worte leer und<br />

überflüssig, und mit wenigen Worten versucht er jetzt, <strong>die</strong>ses Geheimnis zu erklären.<br />

B.I.b.3.2. Das Göttliche als Wirklichkeit jenseits <strong>de</strong>r<br />

Sprache<br />

Da ich <strong>die</strong> Wäl<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Ida mit ihm durchstreifte, und wir herunterkamen ins Tal, um da <strong>die</strong> schweigen<strong>de</strong>n<br />

Grabhügel nach ihren Toten zu fragen, und ich zu Alabanda sagte, dass unter <strong>de</strong>n Grabhügeln einer vielleicht<br />

<strong>de</strong>m Geist Achills und seines Geliebten angehöre (Schmidt, 1994: 44)<br />

Nach <strong>de</strong>r griechischen Mythologie gehen <strong>die</strong> Seelen <strong>de</strong>r Toten in <strong>de</strong>n Orkus, wo <strong>de</strong>r Gott Ha<strong>de</strong>s<br />

waltet. Nach einer globalen Lektüre <strong>de</strong>s Romans Hyperion wird ersichtlich, dass Höl<strong>de</strong>rlin <strong>die</strong>se<br />

antike Vorstellung mit <strong>de</strong>r platonisch­pantheistischen vereinigt, nach welcher sich <strong>die</strong> menschliche<br />

Seele beim Sterben vom materiellen Körper löst und ins geistige göttliche All zurückkehrt.<br />

Das Reich <strong>de</strong>r Toten und <strong>de</strong>r Götter verschmelzen also gleichsam in einem undifferenzierten im­<br />

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