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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Und an mir, rief sie, an mir will sich Hyperion halten? ja, ich wünsch’ es, jetzt zum ersten Male wünsch’<br />

ich, mehr zu sein, <strong>de</strong>nn nur ein sterblich Mädchen. Aber ich bin dir, was ich sein kann.<br />

O so bist du ja mir Alles, rief ich! (Schmidt, 1994: 77 f.)<br />

Hyperion erklärt Diotima seine unsterbliche Liebe. Dadurch, dass er seine Gefühle in Worte<br />

fasst, bringt er auch eine be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Verän<strong>de</strong>rung in bei<strong>de</strong>r Leben zustan<strong>de</strong>, nämlich <strong>de</strong>n Eingang<br />

in eine sehr intime und schicksalhafte Beziehung.<br />

Auch <strong>de</strong>r kluge Notara wur<strong>de</strong> bezaubert von <strong>de</strong>n neuen Entwürfen, versprach mir eine starke Partei, hoffte<br />

bald <strong>de</strong>n Korinthischen Isthmus zu besetzen und Griechenland hier, wie an <strong>de</strong>r Handhabe, zu fassen. Aber<br />

das Schicksal wollt’ es an<strong>de</strong>rs und machte seine Arbeit unnütz, ehe sie ans Ziel kam. (Schmidt, 1994: 110)<br />

Durch Sprache verpflichtet sich Notara, materielle Hilfe zu leisten. Seine Worte wer<strong>de</strong>n wahr,<br />

wer<strong>de</strong>n in Arbeit auf Wirklichkeitsebene umgesetzt.<br />

Ach! ich habe dir ein Griechenland versprochen und du bekommst ein Klaglied nun dafür. Sei selbst <strong>de</strong>in<br />

Trost! (Schmidt, 1994: 131)<br />

Dies schreibt Hyperion an Diotima. Es wird präsupponiert, dass man einhalten wird und kann,<br />

was man versprochen hat, so dass <strong>die</strong> Sprache verbindlich wirkt. Hyperion schämt sich zu To<strong>de</strong>,<br />

weil er es <strong>die</strong>smal nicht geschafft hat.<br />

Ich bin so gar nichts, bin so ruhmlos, wie <strong>de</strong>r ärmste Knecht. Ich bin verbannt, verflucht, wie ein gemeiner<br />

Rebell und mancher Grieche in Morea wird von unsern Hel<strong>de</strong>ntaten, wie von einer Diebsgeschichte, seinen<br />

Kin<strong>de</strong>skin<strong>de</strong>rn künftighin erzählen.<br />

Ach! und Eines hab’ ich lange dir verschwiegen. Feierlich verstieß mein Vater mich, verwies mich ohne<br />

Rückkehr aus <strong>de</strong>m Hause meiner Jugend, will mich nimmer wie<strong>de</strong>r sehen, nicht in <strong>die</strong>sem, noch im an<strong>de</strong>rn<br />

Leben, wie er sagt. (Schmidt, 1994: 132)<br />

Die feierlichen Worte <strong>de</strong>s Vaters haben Hyperion verbannt und verflucht. So eine große Wirkung<br />

kann <strong>die</strong> Sprache auf <strong>die</strong> Lebensumstän<strong>de</strong> Hyperions ausüben.<br />

Nun, im Schutt <strong>de</strong>s heiteren Athens, nun ging mir’s selbst zu nah, wie sich das Blatt gewandt, dass jetzt <strong>die</strong><br />

Toten oben über <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> gehn und <strong>die</strong> Lebendigen, <strong>die</strong> Göttermenschen drunten sind, nun sah ich’s auch<br />

zu wörtlich und zu wirklich dir aufs Angesicht geschrieben, nun gab ich dir auf ewig Recht. Aber zugleich<br />

erschienst du mir auch größer. Ein Wesen voll geheimer Gewalt, voll tiefer unentwickelter Be<strong>de</strong>utung, ein<br />

einzig hoffnungsvoller Jüngling schienst du mir. Zu wem so laut das Schicksal spricht, <strong>de</strong>r darf auch lauter<br />

sprechen mit <strong>de</strong>m Schicksal, sagt’ ich mir; je unergründlicher er lei<strong>de</strong>t, um so unergründlich mächtiger ist<br />

er. Von dir, von dir nur hofft’ ich alle Genesung. Ich sah dich reisen. Ich sah dich wirken. O <strong>de</strong>r Verwandlung!<br />

(Schmidt, 1994: 143)<br />

Dies schreibt Diotima an Hyperion, als sie im Sterben liegt. Das Wort „Gewalt“ müsste im Prinzip<br />

physische Stärke präsupponieren, aber sein Attribut „geheim“ verleiht ihm hier eine neue Dimension<br />

und impliziert eine abstrakte o<strong>de</strong>r geistige Gewalt, eine geheimnisvolle Macht, <strong>die</strong> mit<br />

<strong>de</strong>n Göttern, mit <strong>de</strong>m Schicksal und mit <strong>de</strong>r Sprache in Zusammenhang steht. Die Wahl vom<br />

Substantiv „Wesen“ statt 'Mensch' o<strong>de</strong>r 'Mann' bekräftigt <strong>die</strong>se Auslegung. Diotima meint, Hyperion<br />

sei voll Gewalt, später schreibt sie von ihm, dass er sehr mächtig sei. Diese Macht gibt<br />

Diotima Grund zur Hoffnung, außer<strong>de</strong>m hat sie Hyperion bei seinem Verlangen nach einem erneuerten<br />

Griechenland Recht gegeben und fin<strong>de</strong>t ihn „groß“, was hier so viel wie 'großartig'<br />

heißt. Das impliziert, dass <strong>die</strong>se geheime Gewalt positive Konnotationen trägt. Diese Macht zeigt<br />

sich in ihrer Wirkung, in <strong>de</strong>n Verwandlungen, <strong>die</strong> sie zustan<strong>de</strong> bringt. Die Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r<br />

Struktur „voll“ plus Genitiv ist ein Parallelismus, <strong>de</strong>r nahelegt, dass <strong>die</strong> „Gewalt“ und <strong>die</strong><br />

„Be<strong>de</strong>utung“ vergleichbar zu verstehen sind. Die Attribute „tief“ und „geheim“ tragen <strong>die</strong>selbe<br />

vergeistigen<strong>de</strong> Konnotation. Noch „unentwickelt“ ist Hyperions Macht wahrscheinlich <strong>de</strong>shalb,<br />

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