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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Scheint, wie <strong>de</strong>r Maitag in <strong>de</strong>s Künstlers Werkstatt, <strong>de</strong>m Verstan<strong>de</strong> <strong>die</strong> Sonne <strong>de</strong>s Schönen zu seinem Geschäfte,<br />

so schwärmt er zwar nicht hinaus und lässt sein Notwerk stehn, doch <strong>de</strong>nkt er gerne <strong>de</strong>s Festtags,<br />

wo er wan<strong>de</strong>ln wird im verjüngen<strong>de</strong>n Frühlingslichte. (Schmidt, 1994: 94)<br />

Hyperion meint hier höchstwahrscheinlich mit <strong>de</strong>m Substantiv „Künstler“ <strong>de</strong>n Dichter, sich<br />

selbst. Demnach versucht <strong>de</strong>r Künstler mittels <strong>de</strong>r Vernunft <strong>die</strong> göttliche Schönheit auszudrücken,<br />

d.h. in <strong>de</strong>r Sprache das Wesen <strong>de</strong>r Wirklichkeit darzustellen und zu vermitteln. Wenn er<br />

das Wesen <strong>de</strong>r Wirklichkeit nur in seinem Kopf und für sich selbst verstehen wollte, dann wäre<br />

er kein Künstler, <strong>de</strong>r fleißig in seiner Werkstatt arbeitet, son<strong>de</strong>rn bloß ein Eremit o<strong>de</strong>r ein einsamer<br />

Wan<strong>de</strong>rer. Wenn er an seinem Kunstwerk arbeitet, dann <strong>de</strong>shalb, weil er es seinen Mitmenschen<br />

zeigen will.<br />

Was? <strong>de</strong>r arabische Kaufmann säete seinen Koran aus, und es wuchs ein Volk von Schülern, wie ein unendlicher<br />

Wald, ihm auf, und <strong>de</strong>r Acker sollte nicht auch ge<strong>de</strong>ihn, wo <strong>die</strong> alte Wahrheit wie<strong>de</strong>rkehrt in neu<br />

lebendiger Jugend?<br />

Es wer<strong>de</strong> von Grund aus an<strong>de</strong>rs! Aus <strong>de</strong>r Wurzel <strong>de</strong>r Menschheit sprosse <strong>die</strong> neue Welt! Eine neue Gottheit<br />

walte über ihnen, eine neue Zukunft kläre vor ihnen sich auf.<br />

In <strong>de</strong>r Werkstatt, in <strong>de</strong>n Häusern, in <strong>de</strong>n Versammlungen, in <strong>de</strong>n Tempeln, überall werd’ es an<strong>de</strong>rs!<br />

Aber ich muss noch ausgehn, zu lernen. Ich bin ein Künstler, aber ich bin nicht geschickt. Ich bil<strong>de</strong> im<br />

Geiste, aber ich weiß noch <strong>die</strong> Hand nicht zu führen – (Schmidt, 1994: 100)<br />

[...]<br />

Gibt’s <strong>de</strong>nn Zufrie<strong>de</strong>nheit zwischen <strong>de</strong>m Entschluss und <strong>de</strong>r Tat, begann ich endlich wie<strong>de</strong>r, gibt’s eine<br />

Ruhe vor <strong>de</strong>m Siege?<br />

Es ist <strong>die</strong> Ruhe <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n, sagte Diotima, es gibt Entschlüsse, <strong>die</strong>, wie Götterworte, Gebot und Erfüllung<br />

zugleich sind, und so ist <strong>de</strong>r <strong>de</strong>ine. – (Schmidt, 1994: 100 f.)<br />

Zuerst spricht Hyperion im Gespräch mit Diotima. Demnach besteht <strong>die</strong> Aufgabe <strong>de</strong>s Künstlers<br />

darin, <strong>die</strong> alte religiöse Wahrheit neu zu beleben, <strong>die</strong> Welt zu erneuern und zu verbessern, eine<br />

neue Gottheit zu verkün<strong>de</strong>n, das Zeitalter einer religiösen Aufklärung einzuläuten. Später wer<strong>de</strong>n<br />

wir erfahren, dass Hyperion Dichter wer<strong>de</strong>n soll. Also ist seine Kunst <strong>die</strong> Sprache. Danach<br />

spricht Diotima. Sie meint hier, dass <strong>die</strong> göttliche Berufung gleichzeitig eine Pflicht und ein Vergnügen<br />

ist. Die „Götterworte“ sind <strong>de</strong>r Auftrag <strong>de</strong>r Götter, so wie er in <strong>de</strong>r schriftlich festgelegten<br />

Tradition <strong>de</strong>r Religion steht: z.B. <strong>die</strong> Zehn Gebote. Die Sprache <strong>die</strong>ser Gebote, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Menschen<br />

<strong>die</strong> Aufgabe vorschreibt, selbst glücklich zu wer<strong>de</strong>n und an<strong>de</strong>re glücklich zu machen, ist<br />

zugleich auch <strong>die</strong> Verkündung <strong>de</strong>s religiösen Inhalts: z.B. „Liebe <strong>de</strong>inen Nächsten wie dich<br />

selbst“.<br />

Es ist aus, Diotima! unsre Leute haben geplün<strong>de</strong>rt, gemor<strong>de</strong>t, ohne Unterschied, auch unsre Brü<strong>de</strong>r sind erschlagen,<br />

<strong>die</strong> Griechen in Misistra, <strong>die</strong> Unschuldigen, o<strong>de</strong>r irren sie hilflos herum und ihre tote Jammermiene<br />

ruft Himmel und Er<strong>de</strong> zur Rache gegen <strong>die</strong> Barbaren, an <strong>de</strong>ren Spitze ich war.<br />

Nun kann ich hingehn und von meiner guten Sache predigen. O nun fliegen alle Herzen mir zu!<br />

Aber ich hab’s auch klug gemacht. Ich habe meine Leute gekannt. In <strong>de</strong>r Tat! es war ein außeror<strong>de</strong>ntlich<br />

Projekt, durch eine Räuberban<strong>de</strong> mein Elysium zu pflanzen.<br />

Nein! bei <strong>de</strong>r heiligen Nemesis! mir ist recht geschehn und ich will’s auch dul<strong>de</strong>n, dul<strong>de</strong>n will ich, bis <strong>de</strong>r<br />

Schmerz mein letzt Bewusstsein mir zerreißt. (Schmidt, 1994: 130)<br />

Hyperion be<strong>die</strong>nt sich hier <strong>de</strong>r Selbstironie. Aber eigentlich war es immer seine aufrichtige Absicht<br />

gewesen, seine I<strong>de</strong>ale zu predigen.<br />

Hyperion! Hyperion! hast du nicht mich, <strong>die</strong> Unmündige, zur Muse gemacht? So erging’s auch <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn.<br />

Ach! nun verließen so leicht sich nicht <strong>die</strong> geselligen Menschen; wie <strong>de</strong>r Sand im Sturme <strong>de</strong>r Wildnis irrten<br />

sie untereinan<strong>de</strong>r nicht mehr, noch höhnte sich Jugend und Alter, noch fehlt’ ein Gastfreund <strong>de</strong>m Frem<strong>de</strong>n<br />

und <strong>die</strong> Vaterlandsgenossen son<strong>de</strong>rten nimmer sich ab und <strong>die</strong> Lieben<strong>de</strong>n entlei<strong>de</strong>ten alle sich nimmer; an<br />

<strong>de</strong>inen Quellen, Natur, erfrischten sie sich, ach! an <strong>de</strong>n heiligen Freu<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> geheimnisvoll aus <strong>de</strong>iner Tiefe<br />

quillen und <strong>de</strong>n Geist erneun; und <strong>die</strong> Götter erheiterten wie<strong>de</strong>r <strong>die</strong> verwelkliche Seele <strong>de</strong>r Menschen; es<br />

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