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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Hyperion will in <strong>de</strong>n Krieg ziehen und Abschied von seiner geliebten Diotima nehmen. Im letzten<br />

Moment verloben sie sich feierlich in Anwesenheit ihrer Eltern und Bekannten. Mitten in<br />

<strong>die</strong>ser gefühlsvollen Feier meint Hyperion hier, dass sie zur Natur gehörten, als sie sich noch<br />

nicht kennengelernt hatten, als sie intuitiv ihre bevorstehen<strong>de</strong> Begegnung ahnten, und auch als<br />

<strong>die</strong> große Liebe da war. Denn <strong>de</strong>r Ausdruck „sich fern sein“ wird hier <strong>de</strong>m Wort „fin<strong>de</strong>n“ entgegengesetzt.<br />

In solchem Kontext impliziert Ersterer 'sich persönlich noch nicht kennen', und Letzteres<br />

impliziert 'sich kennenlernen'. Sie kennen sich also noch nicht, aber ihr kommen<strong>de</strong>s glückliches<br />

Zusammentreffen „tönt“ ihnen schon, und das impliziert, dass sie es schon vorausahnen.<br />

Zu sagen, dass jeman<strong>de</strong>m eine Vorahnung tönt, präsupponiert Musik und impliziert, dass durch<br />

<strong>die</strong>se Musik auch eine Botschaft vermittelt wird. Immer, wenn durch etwas eine Botschaft vermittelt<br />

wird, darf <strong>die</strong> Re<strong>de</strong> von irgen<strong>de</strong>iner Sorte Sprache sein, in <strong>die</strong>sem Fall ist es eine von <strong>de</strong>r<br />

Natur eingehauchte, musikalische, freudige und wortlose Sprache. Die „Töne“ und „Akkor<strong>de</strong>“<br />

sind Metaphern für <strong>die</strong> freudigen Liebesgefühle, <strong>die</strong> sich mit <strong>de</strong>m Gefühl <strong>de</strong>r Zugehörigkeit zum<br />

Ganzen <strong>de</strong>r Natur auch noch steigern. Denn „Akkord“ präsupponiert, dass es mehrere Töne gibt,<br />

<strong>die</strong> miteinan<strong>de</strong>r harmonieren. Da außer<strong>de</strong>m „tönen“, „Ton“ und „Akkord“ zum selben Prototyp<br />

gehören, lässt <strong>de</strong>r Kontext implizieren, dass <strong>die</strong>se Gefühle auch an <strong>de</strong>r durch <strong>die</strong> wortlose Sprache<br />

<strong>de</strong>r Natur vermittelten Lebensfreu<strong>de</strong> teilhaben. Weil sie alle zum Prototyp <strong>de</strong>r Musik gehören,<br />

wird präsupponiert, dass <strong>die</strong>se Gefühle schön und harmonisch wie Musik sind. Und weil sie<br />

samt <strong>de</strong>r „Freu<strong>de</strong>“ im Gegensatz zum gegenwärtigen Lei<strong>de</strong>n zur Vergangenheit gehören, wer<strong>de</strong>n<br />

sie durch <strong>de</strong>n Kontext mit <strong>de</strong>r „Freu<strong>de</strong>“ gleichgesetzt.<br />

Ich habe lange gewartet, ich will es dir gestehn, ich habe sehnlich auf ein Abschiedswort aus <strong>de</strong>inem Herzen<br />

gehofft, aber du schweigst. Auch das ist eine Sprache <strong>de</strong>iner schönen Seele, Diotima.<br />

Nicht wahr, <strong>die</strong> heiligern Akkor<strong>de</strong> hören darum <strong>de</strong>nn doch nicht auf? nicht wahr, Diotima, wenn auch <strong>de</strong>r<br />

Liebe sanftes Mondlicht untergeht, <strong>die</strong> höhern Sterne ihres Himmels leuchten noch immer? O das ist ja<br />

meine letzte Freu<strong>de</strong>, dass wir unzertrennlich sind, wenn auch kein Laut von dir zu mir, kein Schatte unsrer<br />

hol<strong>de</strong>n Jugendtage mehr zurückkehrt! (Schmidt, 1994: 134)<br />

Hyperion wartet auf einen Brief Diotimas, <strong>de</strong>r ausbleibt. Das „Schweigen“ ist auch eine „Sprache“,<br />

so wie <strong>die</strong> Sterne auch leuchten, wenn das Mondlicht fehlt. Die Wie<strong>de</strong>rholung von „nicht<br />

wahr“ legt nahe, dass bei<strong>de</strong> Sätze mehr o<strong>de</strong>r weniger synonym sind. Der Artikel „<strong>die</strong>“ im Ausdruck<br />

„<strong>die</strong> heiligern Akkor<strong>de</strong>“ präsupponiert, dass es sich immer noch um dasselbe Thema han<strong>de</strong>lt,<br />

nämlich um <strong>die</strong> Sprache, so dass <strong>die</strong> „Akkor<strong>de</strong>“ zur „Sprache“ gehören. Das Substantiv<br />

„Akkord“ präsupponiert Einvernehmen und Übereinstimmung, und das sind Eigenschaften, <strong>die</strong><br />

zur heiligen Sprache passen. Der Ausdruck „<strong>die</strong> heiligern Akkor<strong>de</strong>“ impliziert, dass <strong>die</strong> Sprache<br />

einer schönen Seele sich auf <strong>die</strong> heilige Kommunikation unter Menschen bezieht, d.h. auf <strong>die</strong><br />

Kommunikation unter Menschen, <strong>die</strong> sich <strong>de</strong>r heiligen Sprache be<strong>die</strong>nen, welche nicht immer<br />

Worte braucht. Das Licht <strong>de</strong>r Himmelskörper steht <strong>de</strong>mnach metaphorisch für <strong>die</strong>se heilige<br />

Kommunikation.<br />

Und wie er nun mich hütete! wie er mit lieben<strong>de</strong>r Vorsicht mich gefangen hielt in <strong>de</strong>m Zauberkreise seiner<br />

Gefälligkeiten! wie er, ohne ein Wort, mit seiner großen Ruhe mich lehrte, <strong>de</strong>n freien Lauf <strong>de</strong>r Welt neidlos<br />

und männlich zu verstehen! (Schmidt, 1994: 139)<br />

Hyperion ist an <strong>de</strong>r Front schwer verwun<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n und hat nur um ein Haar sein Leben gerettet.<br />

Alabanda hat sich um ihn gekümmert und ihn wortlos gelehrt, <strong>die</strong> Wirklichkeit zu akzeptieren.<br />

Das Substantiv „Ruhe“ hat hier seine bei<strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utungen: 'Wortlosigkeit, Gelassenheit'.<br />

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