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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Höl<strong>de</strong>rlin glaubt, wie Novalis auch 134 , dass das „Absolute Ego“ eher in <strong>de</strong>r Sprache verborgen<br />

steckt, und <strong>de</strong>swegen ist sie heilig, und ausgerechnet sie soll <strong>de</strong>n Menschen aus seiner Naturund<br />

Götterferne retten, in<strong>de</strong>m sie das kalte Zeitalter <strong>de</strong>r Vernunft überwin<strong>de</strong>t und wie<strong>de</strong>r gefühlvoll<br />

und dichterisch wird. Deswegen gehören bei<strong>de</strong> Schriftsteller schon im Keim zur Mo<strong>de</strong>rne,<br />

<strong>die</strong> mit Ludwig Wittgenstein 135 erkennt, dass <strong>die</strong> epistemologische Kritik nicht <strong>die</strong> Denkfähigkeit<br />

o<strong>de</strong>r Vernunft, son<strong>de</strong>rn <strong>die</strong> Sprache ins Visier nehmen soll. Damit wird ein neues Zeitalter eröffnet:<br />

das Zeitalter <strong>de</strong>r Sprachphilosophie, <strong>de</strong>r Pragmatik und <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne. Wittgenstein kommt<br />

ungefähr zum selben Ergebnis wie Kant, in<strong>de</strong>m er feststellt, dass <strong>die</strong> Sprache nur dann zuverlässig<br />

ist, wenn sie über Alltägliches befin<strong>de</strong>t, und dass sie ganz und gar nicht geeignet ist, über<br />

Metaphysisches zu sprechen. Und <strong>de</strong>nnoch – o<strong>de</strong>r vielleicht eben <strong>de</strong>shalb – sehnt sich auch Wittgenstein<br />

beson<strong>de</strong>rs nach <strong>de</strong>m Mystischen, nach <strong>de</strong>m Unnennbarem. Denn auch er ahnt, dass <strong>die</strong><br />

Sprache zwar nichts über das Unbeschreibliche besagen, aber doch Gefühle zeigen und indirekt<br />

– also dichterisch – auf das Unaussprechliche hinweisen kann.<br />

Thomas Horst erklärt Höl<strong>de</strong>rlins Wi<strong>de</strong>rspruch beim Versuch, zwischen Gegensatz und Einheit<br />

zu vermitteln, dadurch, dass <strong>die</strong> Negation <strong>de</strong>r bestimmten (= nennbaren) Einheit in <strong>de</strong>r Tragö<strong>die</strong><br />

nach Höl<strong>de</strong>rlins These <strong>die</strong> Menschen zur unbestimmten (= unnennbaren) Einheit <strong>de</strong>s ursprünglichen<br />

absoluten Seins öffnen soll, <strong>die</strong> nur durch <strong>die</strong> intellektuelle Anschauung, d.h. nicht durch<br />

theoretisch­philosophische, son<strong>de</strong>rn durch ästhetische Empfindung erreichbar ist 136 . Kudszus<br />

beschreibt, wie <strong>de</strong>r Versuch Höl<strong>de</strong>rlins, <strong>die</strong> Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt zu<br />

überwin<strong>de</strong>n, sich in seiner Sprache wi<strong>de</strong>rspiegelt 137 . Auch Ryan meint, ein solches<br />

durchgehen<strong>de</strong>s Bezogensein auf <strong>de</strong>n zwar nicht objektivierbaren, wohl aber in <strong>de</strong>r Sprache<br />

fühlbaren unendlichen Mittelpunkt <strong>de</strong>r simultanen Innigkeit und Unterscheidung sei für<br />

Höl<strong>de</strong>rlins Dichtungen weitgehend kennzeichnend 138 . Die morgenländische Philosophie war sich<br />

längst über <strong>die</strong>sen Gegensatz und über <strong>die</strong> Tragik seiner Unlösbarkeit im Klaren und brachte es<br />

im folgen<strong>de</strong>n Zitat 139 sehr treffend auf <strong>de</strong>n Punkt:<br />

Ein Mönch fragte Zen­Meister Wei­Kuan: „Wo ist <strong>die</strong> Wahrheit?“ Meister sagte: „Unmittelbar vor uns.“<br />

Der Mönch fragte: „Weshalb sehe ich sie nicht?“ Meister Kuan antwortete: „Wegen <strong>de</strong>iner Selbstsucht<br />

kannst du sie nicht sehen.“ Der Mönch fragte weiter: „Wenn ich sie wegen meiner Selbstsucht nicht sehen<br />

kann, vermögt dann Ihr sie zu sehen?“ Meister Kuan sagte: „Solange es ein Ich und Du gibt, ist kein Schauen<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit möglich.“ Der Mönch fragte: „Wird sie geschaut, wenn es we<strong>de</strong>r Ich noch Du gibt?“ Meister<br />

Kuan sagte: „Wenn es we<strong>de</strong>r Ich noch Du gibt, wer sollte sie dann sehen können?“<br />

Martin Hei<strong>de</strong>gger meint, im Kunstwerk erscheine <strong>die</strong> ganze Welt in einem an<strong>de</strong>ren Licht und<br />

wer<strong>de</strong> offen für An<strong>de</strong>res. Die Dichtung setze <strong>die</strong> Wahrheit ins Werk, weil sie durch ein ursprüngliches<br />

„Nennen“ das Seien<strong>de</strong> zuallererst ins Offene kommen lasse. Dichterische Sprache<br />

benenne nicht einfach, durch sie wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Dinge vielmehr erst anwesend. 140 Manuel Vázquez<br />

erläutert Martin Hei<strong>de</strong>ggers Meinung, dass <strong>die</strong> Kunst wesentlich Dichtung sei, weil Wahrheit<br />

Dichtung sei. Unter Dichtung versteht Hei<strong>de</strong>gger das Offene, <strong>die</strong> Erleuchtung <strong>de</strong>s Seins durch<br />

<strong>die</strong> Sprache, <strong>die</strong> das Seien<strong>de</strong> erst verständlich mache. Die Dichtung erschaffe <strong>die</strong> Wahrheit, in<strong>de</strong>m<br />

sie sie sagt 141 . Román G. Cuartango erörtert, wie Hei<strong>de</strong>gger in Höl<strong>de</strong>rlin <strong>die</strong> Lösung fin<strong>de</strong>t,<br />

um zu einer neuen Denkweise zu gelangen, einem Denken, das genug Abstand vom bisher Ge­<br />

134<br />

Novalis, 1987: 157 f.<br />

135<br />

Hartnack, 1985: 267 f.<br />

136<br />

Horst, 1979: 178 ff.<br />

137<br />

Kudszus, 1969: 56­73.<br />

138<br />

Ryan, 1965: 235.<br />

139<br />

Aldinger, 1998: 77.<br />

140<br />

Nünning, 2001: 243.<br />

141<br />

Vázquez, 2001: 170 f.<br />

33

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