die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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Günter Wohlfart 194 nimmt Höl<strong>de</strong>rlin als Ausgangspunkt und spricht vom Augenblick ästhetischer<br />
Epiphanie, in <strong>de</strong>m das Be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> – d.h. das Dahinterstecken<strong>de</strong>, das Göttliche – uns wortlos anspricht.<br />
Zeit und Raum wer<strong>de</strong>n aufgehoben. Man kann <strong>die</strong>se sinnerfüllte Erfahrung <strong>de</strong>s Gewahr<br />
Wer<strong>de</strong>ns, <strong>de</strong>r Liebe <strong>de</strong>s Schönen, nur mit Negationen bestimmen, so dass <strong>die</strong> Sprache paradox<br />
klingen muss. In innerlicher Verwandtschaft mit <strong>de</strong>r religiösen Erleuchtung geht es hier um<br />
taghelle Mystik, gibt Wohlfart schließlich zu.<br />
Annette Hornbacher 195 erklärt, wie für Höl<strong>de</strong>rlin <strong>die</strong> „intellektuelle Anschauung“ das Problem<br />
<strong>de</strong>r Trennung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen <strong>de</strong>m Ich und <strong>de</strong>r Welt, löst. Diese „intellektuelle<br />
Anschauung“ sei eine ekstatische Erfahrung <strong>de</strong>r Einigkeit mit allem. Deswegen sei sie<br />
reflexiv uneinholbar und <strong>de</strong>swegen könne man ihr mit <strong>de</strong>r Philosophie nicht gerecht wer<strong>de</strong>n,<br />
<strong>de</strong>nn sie gehe über <strong>die</strong> Vernunft hinaus und könne sich nur im Bereich <strong>de</strong>s Ästhetischen einbetten<br />
lassen. Dabei benutzt Hornbacher das Adjektiv 'mystisch' nicht, um <strong>die</strong> „intellektuelle Anschauung“<br />
zu beschreiben, aber es ist offensichtlich, dass <strong>die</strong>se Bezeichnung hier durchaus zutrifft.<br />
Für Claudia Kalász 196 sucht <strong>die</strong> dichterische Sprache Höl<strong>de</strong>rlins <strong>die</strong> Versöhnung von Endlichem<br />
und Unendlichem auszudrücken, und kommt somit an <strong>die</strong> Grenze <strong>de</strong>s Sagbaren, weil sie paradox<br />
gewor<strong>de</strong>n ist und ihre Verbindung zur objektiven Vernunft abgerissen hat. Gera<strong>de</strong> da, wo <strong>die</strong><br />
Sprache <strong>die</strong> Auflösung <strong>de</strong>r Gegensätze zur jenseitigen Harmonie kundtun und an <strong>die</strong> grundlegen<strong>de</strong><br />
Einheit von Geist und Materie erinnern will, stößt sie gegen ihr Unvermögen, gegen <strong>de</strong>n Mangel<br />
ihrer Erfahrbarkeit, und fällt ins Schweigen. Diese Charakterisierung passt ebenfalls sehr gut<br />
zur Beschreibung <strong>de</strong>r Mystik, auch wenn Kalász <strong>die</strong>s nicht ausdrücklich zugesteht.<br />
Thomas E. Ryan 197 fin<strong>de</strong>t im gesamten Werk Höl<strong>de</strong>rlins eine mystische Stimmung im Sinne <strong>de</strong>s<br />
Unvermögens <strong>de</strong>r Sprache, das Unnennbare auszudrücken.<br />
Wilhelm Michel 198 hält Höl<strong>de</strong>rlin für einen Mystiker und <strong>de</strong>finiert <strong>die</strong> Mystik folgen<strong>de</strong>rweise:<br />
Für <strong>de</strong>n Mystiker ist <strong>die</strong> Einheit Gott, <strong>de</strong>n er in allen Trennungen fühlt. Der Mystiker strebt danach,<br />
<strong>die</strong> Einheit <strong>de</strong>r Welt auszudrücken, obwohl <strong>die</strong> Sprache naturgemäß nur <strong>die</strong> Vielheit in<br />
Worte fassen kann. Deswegen liegt <strong>de</strong>r Mystiker stets mit <strong>de</strong>r Sprache im Streit. Dabei geht er<br />
manchmal über sie hinaus zum prägnanten Verstummen, o<strong>de</strong>r er be<strong>die</strong>nt sich <strong>de</strong>r Sprache mit<br />
künstlerischer Meisterschaft, um das Unaussprechliche auszudrücken. Die mystische Sprache<br />
<strong>de</strong>finiert negativ, was Gott alles nicht ist. Die mystische Sprache ist paradox, wi<strong>de</strong>rsprüchlich,<br />
gänzlich absurd, <strong>de</strong>nn sie muss gegen sich selbst kämpfen, um das Jenseits ihrer selbst zu<br />
erreichen.<br />
2.3. Zusammenfassung <strong>de</strong>r Sprachi<strong>de</strong>ologie Höl<strong>de</strong>rlins<br />
Die hochkomplexe und oft wi<strong>de</strong>rsprüchliche I<strong>de</strong>ologie Höl<strong>de</strong>rlins zum Thema Sprache lässt sich<br />
nicht in einfache Worte fassen. Deswegen ist es hier angebracht, noch einmal zu rekapitulieren,<br />
was bisher im zweiten Kapitel dargestellt wur<strong>de</strong>.<br />
194<br />
Wohlfart, 1986b: 42 ff.<br />
195<br />
Hornbacher, 1995: 31 ff.<br />
196<br />
Kalász, 1988: 104 f.<br />
197<br />
Ryan, 1988: 349.<br />
198<br />
Michel, 1923: 59 ff.<br />
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