die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Es ist ein furchtbares Geheimnis, dass ein solches Leben sterben soll und ich will es dir gestehn, ich selber<br />
habe we<strong>de</strong>r Sinn noch Glauben, seit ich das mit ansah.<br />
Doch immer besser ist ein schöner Tod, Hyperion! <strong>de</strong>nn solch ein schläfrig Leben, wie das unsre nun ist.<br />
Die Fliegen abzuwehren, das ist künftig unsre Arbeit und zu nagen an <strong>de</strong>n Dingen <strong>de</strong>r Welt, wie Kin<strong>de</strong>r an<br />
<strong>de</strong>r dürren Feigenwurzel, das ist endlich unsre Freu<strong>de</strong>. Alt zu wer<strong>de</strong>n unter jugendlichen Völkern, scheint<br />
mir eine Lust, doch alt zu wer<strong>de</strong>n, da wo alles alt ist, scheint mir schlimmer, <strong>de</strong>nn alles. –<br />
Ich möchte fast dir raten, mein Hyperion! dass du nicht hieher kommst. Ich kenne dich. Es wür<strong>de</strong> dir <strong>die</strong><br />
Sinne nehmen. Über<strong>die</strong>s bist du nicht sicher hier. Mein Teurer! <strong>de</strong>nk an Diotimas Mutter, <strong>de</strong>nk an mich und<br />
schone dich!<br />
Ich will es dir gestehn, mir schau<strong>de</strong>rt, wenn ich <strong>de</strong>in Schicksal über<strong>de</strong>nke. Aber ich meine doch auch, <strong>de</strong>r<br />
brennen<strong>de</strong> Sommer trockne nicht <strong>die</strong> tiefern Quellen, nur <strong>de</strong>n seichten Regenbach aus. Ich habe dich in<br />
Augenblicken gesehn, Hyperion! wo du mir ein höher Wesen schienst. Du bist nun auf <strong>de</strong>r Probe, und es<br />
muss sich zeigen, wer du bist. Leb wohl.<br />
So schrieb+ Notara; und du fragst+, mein Bellarmin! wie jetzt mir ist, in<strong>de</strong>m ich <strong>die</strong>s erzähle+?<br />
Bester! ich bin ruhig+, <strong>de</strong>nn ich will nichts Bessers haben, als <strong>die</strong> Götter. Muss nicht alles lei<strong>de</strong>n? Und je<br />
trefflicher es ist, je tiefer! Lei<strong>de</strong>t nicht <strong>die</strong> heilige Natur? O meine Gottheit! dass du trauern könntest, wie<br />
du selig bist, das konnt’ ich lange nicht fassen. Aber <strong>die</strong> Wonne, <strong>die</strong> nicht lei<strong>de</strong>t, ist Schlaf, und ohne Tod<br />
ist kein Leben. Solltest du ewig sein, wie ein Kind und schlummern, <strong>de</strong>m Nichts gleich? <strong>de</strong>n Sieg<br />
entbehren? nicht <strong>die</strong> Vollendungen alle durchlaufen? Ja! ja! wert ist <strong>de</strong>r Schmerz, am Herzen <strong>de</strong>r Menschen<br />
zu liegen, und <strong>de</strong>in Vertrauter zu sein, o Natur! Denn er nur führt von einer Wonne zur an<strong>de</strong>rn, und es ist<br />
kein andrer Gefährte, <strong>de</strong>nn er. –<br />
#*165*#Damals schrieb+ ich an Notara, als ich wie<strong>de</strong>r anfing aufzuleben, von Sizilien aus, wohin ein<br />
Schiff von Paros mich zuerst gebracht:<br />
Ich habe dir gehorcht, mein Teurer! bin schon weit von euch und will dir nun auch Nachricht geben; aber<br />
schwer wird mir das Wort+; das darf ich wohl gestehen. Die Seligen, wo Diotima nun ist, sprechen+ nicht<br />
viel; in meiner Nacht, in <strong>de</strong>r Tiefe <strong>de</strong>r Trauren<strong>de</strong>n, ist auch <strong>die</strong> Re<strong>de</strong>+ am En<strong>de</strong>.<br />
Einen schönen Tod ist meine Diotima gestorben; da hast du Recht; das ist’s auch, was mich aufweckt, und<br />
meine Seele mir wie<strong>de</strong>rgibt.<br />
Aber es ist <strong>die</strong> vorige Welt nicht mehr, zu <strong>de</strong>r ich wie<strong>de</strong>rkehre. Ein Fremdling bin ich, wie <strong>die</strong><br />
Unbegrabnen, wenn sie herauf vom Acheron kommen, und wär’ ich auch auf meiner heimatlichen Insel, in<br />
<strong>de</strong>n Gärten meiner Jugend, <strong>die</strong> mein Vater mir verschließt, ach! <strong>de</strong>nnoch, <strong>de</strong>nnoch, wär’ ich auf <strong>de</strong>r Erd’<br />
ein Fremdling und kein Gott knüpft ans Vergangne mich mehr.<br />
Ja! es ist alles vorbei. Das muss ich nur recht oft mir sagen+, muss damit <strong>die</strong> Seele mir bin<strong>de</strong>n, dass sie<br />
ruhig+ bleibt, sich nicht erhitzt in ungereimten kindischen Versuchen.<br />
Es ist alles vorbei; und wenn ich gleich auch weinen könnte, schöne Gottheit, wie du um Adonis einst<br />
geweint, doch kehrt mir meine Diotima nicht wie<strong>de</strong>r und meines Herzens Wort+ hat seine Kraft verloren,<br />
<strong>de</strong>nn es hören+ mich <strong>die</strong> Lüfte nur.<br />
O Gott! und dass ich selbst nichts bin, und <strong>de</strong>r gemeinste Handarbeiter sagen+ kann, er habe mehr getan,<br />
<strong>de</strong>nn ich! dass sie sich trösten dürfen, <strong>die</strong> Geistesarmen, und lächeln und Träumer mich schelten, weil<br />
meine Taten mir nicht reiften, weil meine Arme nicht frei sind, weil meine Zeit <strong>de</strong>m wüten<strong>de</strong>n Prokrustes<br />
gleicht, <strong>de</strong>r Männer, <strong>die</strong> er fing, in eine Kin<strong>de</strong>rwiege warf, und dass sie passten in das kleine Bett, <strong>die</strong><br />
Glie<strong>de</strong>r ihnen abhieb.<br />
Wär’ es nur nicht gar zu trostlos, allein sich unter <strong>die</strong> närrische Menge zu werfen und zerrissen zu wer<strong>de</strong>n<br />
von ihr! o<strong>de</strong>r müsst’ ein e<strong>de</strong>l Blut sich nur nicht schämen, mit #*166*#<strong>de</strong>m Knechtsblut sich zu mischen! o<br />
gäb’ es eine Fahne, Götter! wo mein Alabanda <strong>die</strong>nen möcht’, ein Thermopylä, wo ich mit Ehren sie<br />
verbluten könnte, all <strong>die</strong> einsame Liebe, <strong>die</strong> mir nimmer brauchbar ist! Noch besser wär’ es freilich, wenn<br />
ich leben könnte, leben, in <strong>de</strong>n neuen Tempeln, in <strong>de</strong>r neu versammelten Agora unsers Volks mit großer<br />
Lust <strong>de</strong>n großen Kummer stillen+; aber davon schweig’+ ich, <strong>de</strong>nn ich weine nur <strong>die</strong> Kraft mir vollends<br />
aus, wenn ich an Alles <strong>de</strong>nke.<br />
Ach Notara! auch mit mir ist’s aus; verlei<strong>de</strong>t ist mir meine eigne Seele, weil ich ihr’s vorwerfen muss, dass<br />
Diotima tot ist, und <strong>die</strong> Gedanken meiner Jugend, <strong>die</strong> ich groß geachtet, gelten mir nichts mehr. Haben sie<br />
doch meine Diotima mir vergiftet!<br />
Und nun sage+ mir, wo ist noch eine Zuflucht? – Gestern war ich auf <strong>de</strong>m Ätna droben. Da fiel <strong>de</strong>r große<br />
Sizilianer mir ein, <strong>de</strong>r einst <strong>de</strong>s Stun<strong>de</strong>nzählens satt, vertraut mit <strong>de</strong>r Seele <strong>de</strong>r Welt, in seiner kühnen<br />
Lebenslust sich da hinabwarf in <strong>die</strong> herrlichen Flammen, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r kalte Dichter+ hätte müssen am Feuer<br />
sich wärmen, sagt’+ ein Spötter ihm nach.<br />
O wie gerne hätt’ ich solchen Spott auf mich gela<strong>de</strong>n! aber man muss sich höher achten, <strong>de</strong>nn ich mich<br />
achte, um so ungerufen+ <strong>de</strong>r Natur ans Herz zu fliegen, o<strong>de</strong>r wie du es sonst noch heißen magst, <strong>de</strong>nn<br />
wirklich! wie ich jetzt bin, hab’ ich keinen Namen+ für <strong>die</strong> Dinge und es ist mir alles ungewiss.<br />
Notara! und nun sage+ mir, wo ist noch Zuflucht?<br />
342