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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Schmeichler! rief sie<br />

[...]<br />

O du! – rief ich und stürzt’ ihr nach, und gab meine Seele in ihre Hand in unendlichen Küssen.<br />

Gott! rief sie, wie wird das künftig wer<strong>de</strong>n!<br />

Das traf mich. Verzeih, Himmlische! sagt’ ich; ich gehe. Gute Nacht, Diotima! <strong>de</strong>nke noch mein ein wenig!<br />

Das will ich, rief sie, gute Nacht!<br />

[...]<br />

Und <strong>die</strong> wun<strong>de</strong>rbare heilige Trauer, wann <strong>die</strong> Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Trennung in unsre Begeisterung tönte, wenn ich<br />

oft rief: nun sind wir wie<strong>de</strong>r sterblich, Diotima! und sie mir sagte: Sterblichkeit ist Schein<br />

[...]<br />

Mir war, als hätt’ ein unbegreiflich plötzlich Schicksal unsrer Liebe <strong>de</strong>n Tod geschworen, und alles Leben<br />

war hin, außer mir und allem. (Schmidt, 1994: 84 f.)<br />

Die Verben „rufen, sagen“ leiten hier <strong>die</strong> direkte Re<strong>de</strong> ein. Das Verb „tönen“ bezieht sich hier<br />

auf das hörbare Geläut <strong>de</strong>r Glocke, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Stun<strong>de</strong>n zählt, nicht auf <strong>die</strong> heilige Sprache, <strong>die</strong> wie<br />

Musik ist. Das Verb „schwören“ be<strong>de</strong>utet hier bloß 'sich vornehmen, beabsichtigen'.<br />

ich war noch damals, wie <strong>die</strong> ungeduldigen Kin<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> um <strong>de</strong>n Apfel am Baume weinen, als wär’ er gar<br />

nicht da, wenn er ihnen <strong>de</strong>n Mund nicht küsst.<br />

[...]<br />

und wie sie nun bekannte, heilige Einfalt, wie sie mit Tränen bekannte, sie liebe zu sehr, und wie sie Abschied<br />

nahm von allem, was sie sonst am Herzen gewiegt, o wie sie rief: abtrünnig bin ich gewor<strong>de</strong>n von<br />

Mai und Sommer und Herbst, und achte <strong>de</strong>s Tages und <strong>de</strong>r Nacht nicht, wie sonst<br />

[...]<br />

wie sie, in kühner heiliger Freu<strong>de</strong>, in ihre schönen Arme mich nahm und <strong>die</strong> Stirne mir küsste und <strong>de</strong>n<br />

Mund, ha! wie das göttliche Haupt, sterbend in Wonne, mir am offnen Halse herabsank, und <strong>die</strong> süßen<br />

Lippen an <strong>de</strong>r schlagen<strong>de</strong>n Brust mir ruhten und <strong>de</strong>r liebliche Atem an <strong>die</strong> Seele mir ging (Schmidt, 1994:<br />

86)<br />

Der „Mund“ ist hier ein Organ, das nicht zum Sprechen, son<strong>de</strong>rn zum Essen <strong>die</strong>nt. Das Verb „rufen“<br />

leitet <strong>die</strong> direkte Re<strong>de</strong> ein. Die „Lippen“ und <strong>de</strong>r „Mund“ funktionieren hier auch nicht als<br />

Sprechorgane. Das Verb „ruhen“ be<strong>de</strong>utet hier 'da angelehnt stehen geblieben sein'.<br />

Der herrliche Geist ging scherzend aus <strong>de</strong>r Welt, rief einer; warum nicht? sagt’ ich; er hatte nichts mehr<br />

hier zu suchen; Athen war Alexan<strong>de</strong>rs Dirne gewor<strong>de</strong>n, und <strong>die</strong> Welt, wie ein Hirsch, von <strong>de</strong>m großen Jäger<br />

zu To<strong>de</strong> gehetzt.<br />

O Athen! rief Diotima; ich habe manchmal getrauert, wenn ich dahinaussah, und aus <strong>de</strong>r blauen Dämmerung<br />

mir das Phantom <strong>de</strong>s Olympion aufstieg!<br />

Wie weit ist’s hinüber? fragt’ ich.<br />

Eine Tagreise vielleicht, erwi<strong>de</strong>rte Diotima.<br />

Eine Tagereise, rief ich, und ich war noch nicht drüben? Wir müssen gleich hinüber zusammen.<br />

Recht so! rief Diotima; wir haben morgen heitere See, und alles steht jetzt noch in seiner Grüne und Reife.<br />

Man braucht <strong>die</strong> ewige Sonne und das Leben <strong>de</strong>r unsterblichen Er<strong>de</strong> zu solcher Wallfahrt.<br />

Also morgen! sagt’ ich, und unsre Freun<strong>de</strong> stimmten mit ein.<br />

Wir fuhren früh, unter <strong>de</strong>m Gesange <strong>de</strong>s Hahns, aus <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>. In frischer Klarheit glänzten wir und <strong>die</strong><br />

Welt. Goldne stille Jugend war in unsern Herzen. Das Leben in uns war, wie das Leben einer neugebornen<br />

Insel <strong>de</strong>s Ozeans, worauf <strong>de</strong>r erste Frühling beginnt.<br />

Schon lange war unter Diotimas Einfluss mehr Gleichgewicht in meine Seele gekommen; heute fühlt’ ich<br />

es dreifach rein, und <strong>die</strong> zerstreuten schwärmen<strong>de</strong>n Kräfte waren all in Eine goldne Mitte versammelt.<br />

Wir sprachen untereinan<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Trefflichkeit <strong>de</strong>s alten Athenervolks, woher sie komme, worin sie bestehe.<br />

(Schmidt, 1994: 87 f.)<br />

Die Verben „rufen, fragen, sagen“ leiten hier <strong>die</strong> direkte Re<strong>de</strong> ein. Der „Gesang“ ist hier ein poetisches<br />

Substantiv für „Krähen“ und hat nichts mit <strong>de</strong>r Sprachauffassung zu tun. Das Adjektiv<br />

„still“ be<strong>de</strong>utet 'friedlich, beschaulich'.<br />

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