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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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wenn ich, über mich selbst erhoben, in herrlichen Entschlüssen, in kühnen Gedanken, im Feuer <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong><br />

seiner Seele begegnete! (Schmidt, 1994: 47)<br />

Hyperion spricht hier von Alabanda, und wie ihre Seelen sich durch Re<strong>de</strong> begegneten. Nicht <strong>de</strong>r<br />

Kopf o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Mund Alabandas re<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn seine Seele. Dass er das Substantiv „Seele“ benutzt,<br />

impliziert, dass <strong>de</strong>r Kontakt zwischen ihnen nicht oberflächlich, son<strong>de</strong>rn tief und eng war,<br />

<strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Seele gehört für Höl<strong>de</strong>rlin zur tiefsten Ebene <strong>de</strong>s Menschen.<br />

Ach! es war alles geheiliget, verschönert durch ihre Gegenwart. Wohin ich sah, was ich berührte, ihr Fußteppich,<br />

ihr Polster, ihr Tischchen, alles war in geheimem Bun<strong>de</strong> mit ihr. Und da sie zum ersten Male mit<br />

Namen mich rief, da sie selbst so nahe mir kam, dass ihr unschuldiger Atem mein lauschend Wesen berührte!<br />

(Schmidt, 1994: 63)<br />

Die verbale und auch non­verbale Kommunikation zwischen Hyperion und Diotima ist so intim,<br />

„geheiliget“, kameradschaftlich, dass alles voller Zauber ist, sogar <strong>die</strong> einfache Tatsache, dass<br />

sie ihn bei seinem Namen nennt. Das Wesen Hyperions ist auf <strong>die</strong>se Wellenlänge <strong>de</strong>r heiligen<br />

Sprache eingestellt, <strong>de</strong>swegen „lauscht“ er ihren Gesten und Worten.<br />

Wenn sie, wun<strong>de</strong>rbar allwissend, je<strong>de</strong>n Wohlklang, je<strong>de</strong>n Misslaut in <strong>de</strong>r Tiefe meines Wesens, im Momente,<br />

da er begann, noch eh ich selbst ihn wahrnahm, mir enthüllte, wenn sie je<strong>de</strong>n Schatten eines Wölkchens<br />

auf <strong>de</strong>r Stirne, je<strong>de</strong>n Schatten einer Wehmut, eines Stolzes auf <strong>de</strong>r Lippe, je<strong>de</strong>n Funken mir im Auge<br />

sah, wenn sie <strong>die</strong> Ebb’ und Flut <strong>de</strong>s Herzens mir behorcht’ und sorgsam trübe Stun<strong>de</strong>n ahnete, in<strong>de</strong>s mein<br />

Geist zu unenthaltsam, zu verschwen<strong>de</strong>risch im üppigen Gespräche sich verzehrte, wenn das liebe Wesen,<br />

treuer, wie ein Spiegel, je<strong>de</strong>n Wechsel meiner Wange mir verriet, und oft in freundlichen Bekümmernissen<br />

über mein unstet Wesen mich ermahnt’, und strafte, wie ein teures Kind – (Schmidt, 1994: 71 f.)<br />

Hyperion beschreibt, wie gut Diotima ihn verstand. Die „Tiefe“ von Hyperions „Wesen“ ist<br />

wahrscheinlich seine Seele. Darin gibt es Gefühle, Gedanken, Erinnerung, Wünsche, Wille, Bil<strong>de</strong>r,<br />

Worte, aber eigentlich keine Musik. Trotz<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n dazu musikalische Ausdrücke benutzt:<br />

Der „Wohlklang“ steht hier für ein gutes Gefühl, <strong>de</strong>r „Misslaut“ für ein schlechtes, <strong>de</strong>nn<br />

<strong>die</strong> heilige Sprache ist für Höl<strong>de</strong>rlin wie Musik. Und heilig ist hier <strong>die</strong> äußerst enge Beziehung,<br />

welche bei<strong>de</strong> Lieben<strong>de</strong>n innerlich verbin<strong>de</strong>t. Diese innige Kommunikation kann wortlos durch<br />

Gesten – z.B. durch <strong>de</strong>n „Schatten eines Wölkchens auf <strong>de</strong>r Stirne“ – o<strong>de</strong>r auch sprachlich durch<br />

Worte – z.B. durch <strong>de</strong>n „Schatten eines Stolzes auf <strong>de</strong>r Lippe“ – zustan<strong>de</strong> kommen. Die „Lippe“<br />

wird hier wahrscheinlich als Sprachorgan aufgefasst, <strong>de</strong>nn so wird sie sonst meistens verstan<strong>de</strong>n,<br />

genauso wie <strong>de</strong>r Rest <strong>de</strong>r Wörter, <strong>die</strong> zum selben Prototyp gehören: 'Mund' und 'Zunge'.<br />

Ach! und alle <strong>die</strong> holdseligen Spiele <strong>de</strong>r Liebe! <strong>die</strong> Schmeichelre<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> Besorgnisse, <strong>die</strong> Empfindlichkeiten,<br />

<strong>die</strong> Strenge und Nachsicht.<br />

Und <strong>die</strong> Allwissenheit, womit wir uns durchschauten, und <strong>de</strong>r unendliche Glaube, womit wir uns verherrlichten!<br />

(Schmidt, 1994: 85)<br />

Hyperion beschreibt hier, wie wun<strong>de</strong>rbar <strong>die</strong> Liebe zu Diotima war. Unter an<strong>de</strong>rem durch ihre<br />

„Schmeichelre<strong>de</strong>n“ vereinigten sie sich in <strong>de</strong>r Liebe.<br />

Du hast noch nie so tief aus meiner Seele gesprochen, rief Diotima.<br />

Ich hab es von dir, erwi<strong>de</strong>rt’ ich.<br />

So war <strong>de</strong>r Athener ein Mensch, fuhr ich fort, so musst’ er es wer<strong>de</strong>n. Schön kam er aus <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Natur, schön, an Leib und Seele, wie man zu sagen pflegt.<br />

Das erste Kind <strong>de</strong>r menschlichen, <strong>de</strong>r göttlichen Schönheit ist <strong>die</strong> Kunst. In ihr verjüngt und wie<strong>de</strong>rholt <strong>de</strong>r<br />

göttliche Mensch sich selbst. Er will sich selber fühlen, darum stellt er seine Schönheit gegenüber sich. So<br />

gab <strong>de</strong>r Mensch sich seine Götter. Denn im Anfang war <strong>de</strong>r Mensch und seine Götter Eins, da, sich selber<br />

unbekannt, <strong>die</strong> ewige Schönheit war. (Schmidt, 1994: 90)<br />

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