die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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on zwischen Diotima und Hyperion, <strong>die</strong> schon immer als heilige Sprache gegolten hat. Deswegen<br />
ist Diotimas Ankündigung ihres baldigen To<strong>de</strong>s auch ein Stück <strong>die</strong>ser Sprache, <strong>die</strong> zur tiefsten<br />
Kommunikation zwischen <strong>die</strong>sen bei<strong>de</strong>n höheren Menschen <strong>die</strong>nt. Das Lied präsupponiert<br />
aber nicht nur Sprache, son<strong>de</strong>rn auch Musik, und <strong>de</strong>swegen ist <strong>die</strong>se heilige Sprache gleichzeitig<br />
auch Musik.<br />
Beständigkeit haben <strong>die</strong> Sterne gewählt, in stiller Lebensfülle wallen sie stets und kennen das Alter nicht.<br />
Wir stellen im Wechsel das Vollen<strong>de</strong>te dar; in wan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Melo<strong>die</strong>n teilen wir <strong>die</strong> großen Akkor<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
Freu<strong>de</strong>. Wie Harfenspieler um <strong>die</strong> Thronen <strong>de</strong>r Ältesten, leben wir, selbst göttlich, um <strong>die</strong> stillen Götter<br />
<strong>de</strong>r Welt, mit <strong>de</strong>m flüchtigen Lebenslie<strong>de</strong> mil<strong>de</strong>rn wir <strong>de</strong>n seligen Ernst <strong>de</strong>s Sonnengotts und <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn.<br />
Sieh auf in <strong>die</strong> Welt! Ist sie nicht, wie ein wan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r Triumphzug, wo <strong>die</strong> Natur <strong>de</strong>n ewigen Sieg über alle<br />
Ver<strong>de</strong>rbnis feiert? und führt nicht zur Verherrlichung das Leben <strong>de</strong>n Tod mit sich, in gol<strong>de</strong>nen Ketten, wie<br />
<strong>de</strong>r Feldherr einst <strong>die</strong> gefangenen Könige mit sich geführt? und wir, wir sind wie <strong>die</strong> Jungfrauen und <strong>die</strong><br />
Jünglinge, <strong>die</strong> mit Tanz und Gesang, in wechseln<strong>de</strong>n Gestalten und Tönen <strong>de</strong>n majestätischen Zug geleiten.<br />
(Schmidt, 1994: 163)<br />
Diotima schreibt <strong>die</strong>se Abschiedsworte an Hyperion, bevor sie stirbt. Einige Naturerscheinungen,<br />
wie zum Beispiel <strong>die</strong> Himmelskörper, wer<strong>de</strong>n als beständig und ewig dargestellt. Sie sind<br />
<strong>die</strong> „stillen Götter <strong>de</strong>r Welt“. „Wir“ sind auch selbst göttliche Naturerscheinungen, allerdings<br />
menschliche, kurzlebige Harfenspieler, <strong>die</strong> freudig mit ihrem Gesang <strong>die</strong> Herrlichkeit <strong>de</strong>r Natur<br />
feiern. „Harfenspieler“ präsupponiert 'Mensch'. „Melo<strong>die</strong>“, „Akkord“ und „Ton“ präsupponieren<br />
nur 'Musik', aber „Lied“ und „Gesang“ präsupponieren auch 'Sprache', und alle fünf wer<strong>de</strong>n in<br />
<strong>de</strong>nselben Prototyp eingeordnet. Dass <strong>die</strong> Gestirne still genannt wer<strong>de</strong>n, während <strong>die</strong> Menschen<br />
durch Melo<strong>die</strong>n, Akkor<strong>de</strong>, Lied, Gesang und Töne hervorstechen, impliziert, dass nicht nur <strong>die</strong><br />
Musik, son<strong>de</strong>rn auch <strong>die</strong> Sprache zu <strong>die</strong>ser heiligen Sphäre bzw. Prototyp gehört.<br />
Die Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Deutschen aber sind ein glänzend Übel und nichts weiter; <strong>de</strong>nn Notwerk sind sie nur, aus<br />
feiger Angst, mit Sklavenmühe, <strong>de</strong>m wüsten Herzen abgedrungen, und lassen trostlos je<strong>de</strong> reine Seele, <strong>die</strong><br />
von Schönem gern sich nährt, ach! <strong>die</strong> verwöhnt vom heiligen Zusammenklang in edleren Naturen, <strong>de</strong>n<br />
Misslaut nicht erträgt, <strong>de</strong>r schreiend ist in all <strong>de</strong>r toten Ordnung <strong>die</strong>ser Menschen. (Schmidt, 1994: 169)<br />
Scheltre<strong>de</strong> Hyperions an <strong>die</strong> Deutschen. Die üblen Deutschen mit wüstem Herzen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n<br />
reinen Seelen, <strong>die</strong> sich vom Schönen nähren, entgegengestellt. Der „schreien<strong>de</strong> Misslaut“ ist typisch<br />
für Erstere, <strong>de</strong>r „heilige Zusammenklang“ für Letztere. Bei<strong>de</strong> Ausdrücke gehören eigentlich<br />
zum Prototyp <strong>de</strong>r Musik. Aber in <strong>die</strong>sem Kontext heißt es, <strong>de</strong>n „heiligen Zusammenhang“<br />
gebe es in edleren Naturen, während <strong>de</strong>r „schreien<strong>de</strong> Misslaut“ <strong>die</strong> tote Ordnung <strong>de</strong>r Deutschen<br />
kennzeichne. Das Substantiv „Natur“ steht hier für 'Persönlichkeit', 'Sorte Menschen'. Dazu passt<br />
<strong>de</strong>r Prototyp <strong>de</strong>r Musik nicht gut, und zur „toten Ordnung“ schon gar nicht. Es han<strong>de</strong>lt sich wie<strong>de</strong>r<br />
um <strong>die</strong> heilige Sprache, <strong>die</strong> nicht nur als Kommunikationsmittel zwischen zwei konkreten<br />
Wesen <strong>die</strong>nt, son<strong>de</strong>rn auch, wie hier, als Kanal, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Verbindung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen<br />
Einzelteile <strong>de</strong>r Natur miteinan<strong>de</strong>r aufrechterhält.<br />
Ich wollte nun aus Deutschland wie<strong>de</strong>r fort. Ich suchte unter <strong>die</strong>sem Volke nichts mehr, ich war genug gekränkt,<br />
von unerbittlichen Beleidigungen, wollte nicht, dass meine Seele vollends unter solchen Menschen<br />
sich verblute.<br />
Aber <strong>de</strong>r himmlische Frühling hielt mich auf; er war <strong>die</strong> einzige Freu<strong>de</strong>, <strong>die</strong> mir übrig war, er war ja meine<br />
letzte Liebe, wie konnt’ ich noch an andre Dinge <strong>de</strong>nken und das Land verlassen, wo auch er war?<br />
Bellarmin! Ich hatt’ es nie so ganz erfahren, jenes alte feste Schicksalswort, dass eine neue Seligkeit <strong>de</strong>m<br />
Herzen aufgeht, wenn es aushält und <strong>die</strong> Mitternacht <strong>de</strong>s Grams durchdul<strong>de</strong>t, und dass, wie Nachtigallgesang<br />
im Dunkeln, göttlich erst in tiefem Leid das Lebenslied <strong>de</strong>r Welt uns tönt. Denn, wie mit Genien,<br />
lebt’ ich jetzt mit <strong>de</strong>n blühen<strong>de</strong>n Bäumen, und <strong>die</strong> klaren Bäche, <strong>die</strong> darunter flossen, säuselten, wie Götterstimmen,<br />
mir <strong>de</strong>n Kummer aus <strong>de</strong>m Busen. Und so geschah mir überall, du Lieber! – wenn ich im Grase<br />
ruht’, und zartes Leben mich umgrünte, wenn ich hinauf, wo wild <strong>die</strong> Rose um <strong>de</strong>n Steinpfad wuchs, <strong>de</strong>n<br />
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