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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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schichtsbewusst zu sein. Sprache ist schließlich <strong>de</strong>r Speicher, <strong>de</strong>r das Gedächtnis überhaupt ermöglicht.<br />

Kants berühmte Definition <strong>de</strong>r Aufklärung 159 war allen drei zweifellos bekannt:<br />

Aufklärung ist <strong>de</strong>r Ausgang <strong>de</strong>s Menschen aus seiner selbstverschul<strong>de</strong>ten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist<br />

das Unvermögen, sich seines Verstan<strong>de</strong>s ohne Leitung eines an<strong>de</strong>ren zu be<strong>die</strong>nen.<br />

Des Weiteren schreibt Kimpel:<br />

Die Verbindung von mündig, sprachfähig und geschichtsbewusst ist unauflöslich. 160<br />

Mit <strong>die</strong>sem kurzen einfachen Satz fasst Kimpel eine Vorstellung zusammen, <strong>die</strong> für Höl<strong>de</strong>rlin<br />

ein wichtiger Schlüsselbegriff und für seine Kommentatoren das Hauptthema vieler Bücher gewor<strong>de</strong>n<br />

ist. Diesem Hintergrundgedanken kann man auf <strong>die</strong> Spur kommen, wenn man sich unter<br />

an<strong>de</strong>rem mit folgen<strong>de</strong>r Stelle beschäftigt. Sie befin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>n Anmerkungen zur Antigonä,<br />

<strong>die</strong> Höl<strong>de</strong>rlin wohl im Jahre 1802 verfasste.<br />

Das gol<strong>de</strong>n strömen<strong>de</strong> Wer<strong>de</strong>n be<strong>de</strong>utet wohl <strong>die</strong> Strahlen <strong>de</strong>s Lichts, <strong>die</strong> auch <strong>de</strong>m Zeus gehören, in sofern<br />

<strong>die</strong> Zeit, <strong>die</strong> bezeichnet wird, durch solche Strahlen berechenbarer ist. Das ist sie aber immer, wenn <strong>die</strong> Zeit<br />

im Lei<strong>de</strong>n gezählt wird, weil dann das Gemüt vielmehr <strong>de</strong>m Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Zeit mitfühlend folgt, und so <strong>de</strong>n<br />

einfachen Stun<strong>de</strong>ngang begreift, nicht aber <strong>de</strong>r Verstand von Gegenwart auf <strong>die</strong> Zukunft schließt.<br />

Weil aber <strong>die</strong>ses festeste Bleiben vor <strong>de</strong>r wan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Zeit <strong>die</strong>s heroische Eremitenleben das höchste Bewusstsein<br />

wirklich ist, [...]. (Schmidt, 1994: 916 f.)<br />

Höl<strong>de</strong>rlin bezieht sich auf ein „höchstes Bewusstsein“, das er einem beschränkten Bewusstsein<br />

gegenüberstellt, wo <strong>de</strong>r „Stun<strong>de</strong>ngang“ ohne Verstand lediglich mitgefühlt und mitgemacht<br />

wird. Ein aufschlussreiches Zitat aus <strong>de</strong>m etwa 1794 entstan<strong>de</strong>nen 161 Prosa­Entwurf zur metrischen<br />

Fassung <strong>de</strong>s Hyperion setzt das höchste Bewusstsein einem göttlichen Zustand gleich, und<br />

das niedrigste einem tierischen:<br />

Er fragte mich, wie ich <strong>die</strong> Menschen auf meiner Reise gefun<strong>de</strong>n hätte? – Mehr tierisch, als göttlich, antwortete<br />

ich ihm. – Das kommt daher, sagte er, dass so wenige menschlich sind. [...] <strong>die</strong> Gefahr, dass wir im<br />

Unmut <strong>die</strong> Götterwaffen von uns werfen, <strong>de</strong>m Schicksal und unsern Sinnen uns gefangen geben, <strong>die</strong> Vernunft<br />

verleugnen, und zu Tieren wer<strong>de</strong>n. (Schmidt, 1994: 206, 16)<br />

Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Tieren und <strong>de</strong>n kleinen Kin<strong>de</strong>rn verfügen <strong>die</strong> erwachsenen Menschen über<br />

Vernunft und Sprache. Diese ermöglicht durch mündliche Überlieferung und auch durch <strong>die</strong><br />

Schrift <strong>die</strong> Wissensvermittlung und ­sammlung über <strong>die</strong> Generationen und über <strong>die</strong> örtlichen<br />

Grenzen hinaus.<br />

Unter <strong>de</strong>n Psychologen gilt das Prinzip, dass man unter all <strong>de</strong>n möglichen Wahrnehmungen nur<br />

jene auswählt und bewusst wahrnimmt, <strong>die</strong> einem aus irgendwelchem Grund auffallen. Einer <strong>de</strong>r<br />

wichtigsten Grün<strong>de</strong>, wodurch etwas als auffallend empfun<strong>de</strong>n wird, ist <strong>de</strong>r Schmerz, <strong>de</strong>n das<br />

Wahrgenommene mit sich bringt. Und man zählt ja nicht alles, was zählbar ist, son<strong>de</strong>rn nur das,<br />

was einem aufgefallen ist. Das Lei<strong>de</strong>n ist also ein wichtiger Faktor, <strong>de</strong>r Folgen<strong>de</strong>s ermöglicht:<br />

1. das Zählen, <strong>de</strong>nn erst durch Zählen kann man <strong>die</strong> Zeit begreifen.<br />

2. <strong>die</strong> als subjektive Dimension und Voraussetzung <strong>de</strong>r menschlichen Wahrnehmung verstan<strong>de</strong>ne<br />

Zeit.<br />

3. das Erzählen. Und 'erzählen' entstammt sowohl etymologisch als auch begrifflich aus<br />

'zählen'. 162<br />

159<br />

Kant, 1974: 9.<br />

160<br />

Kimpel, 1980: 47.<br />

161<br />

Schmidt, 1994: 930.<br />

162<br />

Drosdowski, 1989: 163.<br />

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